Pur-Sänger Hartmut Engler: „Ich muss nicht überall meinen Senf dazugeben"
Hartmut Engler hat schwierige Zeiten hinter sich, aber legt nun ein neues zuversichtliches Album vor. Ein Gespräch über die Krisen dieser Zeit und seine eigenen.
Hartmut, im Lied „Laune“ bitten Sie die gute Laune, sich doch mal wieder mit Ihnen zu verabreden. Hat sie inzwischen vorbeigeschaut?
Hartmut Engler: Ja, hat sie. Zum Glück. Meine Laune ist ausgezeichnet, es geht mir gut, ich bin voll motiviert. Das war in den vergangenen zwei, drei Jahren weiß Gott nicht immer so.
Sie haben vergeblich versucht, die gute Laune zu finden?
Engler: Sie war lange wie vom Erdboden verschluckt. Praktisch unauffindbar. Ich habe sie allerdings auch aktiv vertrieben. Ich habe mit mir gehadert, und immer wieder überkam mich die Schwermut, weil erst die Pandemie alles bremste und mir dann noch ein Putin zusätzlich heftig aufs Gemüt schlug.
Im Song „Voll sein“ schildern Sie, wie Ihre „Fantasietanks leer“ waren. Wie lange haben Sie vor sich hingegammelt? Engler: Ein gutes Jahr lang war es so, dass mir fast nichts einfiel. Ich litt unter einer Schreibblockade und bin immer ganz wahnsinnig geworden, wenn ich mit Kollegen telefonierte, und die meinten: „Ich habe schon ein ganzes Album geschrieben und werde direkt am Start sein, wenn es wieder losgeht.“ Bei mir war die Stimmung mau, so nach dem Motto: Was soll ich denn jetzt eigentlich machen? Ich habe mir in über einem Jahr gerade mal drei Songs rausgequält.
In „Immun“ sprechen Sie unverblümt über Ihre Selbstzweifel zu der Zeit, die mitunter auch in Selbstmitleid abglitten.Engler: Über Jahrzehnte war ich verwöhnt worden vom Applaus unzähliger Menschen, und auf einmal ist es still. Ich musste mich ganz neu sortieren, mich neu definieren. Mich fragen: Wer bin ich? Was bin ich wert? Wozu bin ich gut? Die Antworten waren nicht immer sehr schön.
Das heißt?
Engler: Das heißt, beraubt meiner Tätigkeit als Sänger hatte ich ein ganz schlechtes Selbstbild. Ich guckte in den Spiegel und dachte: „Was kannst du denn eigentlich, außer auf die Bühne zu gehen und zu singen?“ Ohne die gewohnte Interaktion mit anderen Menschen war ich sehr auf mich selbst zurückgeworfen.
Wie ist es Ihnen gelungen, sich emotional wieder aufzurappeln?
Engler: Es ging in kleinen Schritten aufwärts. Erst verzog sich die Schreibblockade, und dann kehrte der Glauben zurück, dass es für uns beruflich relativ normal weitergehen kann. Als wir den Termin für unser Stadionkonzert „40 Jahre Pur – 20 Jahre Pur auf Schalke“ festzurrten, war das ein weiterer Motivationsschub. Wir hatten endlich wieder ein Ziel, auf das wir hinarbeiten konnten. Die Songs ergaben sich danach fast von alleine.
Es fällt generell auf, wie euphorisch das Album über weite Strecken klingt.
Engler: Das empfinde ich auch so. Vor allem, wenn man die Zeit bedenkt, in der es entstanden ist. Ich war gerade wieder auf gutem Weg, optimistisch zu werden, als Putin in der Ukraine einfiel. Danach hatte ich es einige Wochen richtig schwer, denn wir wollten ja auf keinen Fall ein Pur-Album machen, von dem es in zehn Jahren heißt: „Das war die Pandemie-und-Putin-Platte.“ Es ist als Unterhaltungskünstler in so einer Situation nicht meine Pflicht, Friede, Freude, Eierkuchen zu predigen. Aber es ist schon eine Verantwortung, den Leuten mit der Musik ein bisschen Hoffnung zurückzugeben. Über diesen Balanceakt habe ich mir viele Gedanken gemacht, und so entstanden Songs, in denen ich mein Hadern auch positiv rüberbringen konnte, „Ein gutes Morgen“ zum Beispiel. Ich habe erkannt: Ich kann meine ehrlichen Gedanken loswerden, muss aber zumindest musikalisch und textlich dabei nicht in Depressionen verfallen.
Hat Sie der Putin-Angriff härter getroffen als die Pandemie?
Engler: Ja, denn auf einen Schlag war alles wie weggewischt, womit ich mich seit meiner Jugend beschäftigt habe und woran ich geglaubt habe, seit ich politisch denken kann – plötzlich ist der Kalte Krieg wieder sehr präsent. Als dann noch die Drohung ausgesprochen wurde, man könne tatsächlich Atomwaffen einsetzen, war das erst recht ein Schock für mich. Zwei, drei Wochen lang hatte ich Schlafstörungen und wirklich Angst. Ich habe die Situation vielleicht auch übertrieben heftig wahrgenommen. Irgendwann erkannte ich: Die Sonne geht trotzdem weiter auf.
Und im Hintergrund zwitschern bei Ihnen gerade die Vögel.
Engler (lacht): Vorhin kreiste sogar ein Mäusebussard über mir, der sich in die Baumwipfel gesetzt hat. Mein Haus ist nah am Waldrand, manchmal kommen sogar Rehe bis zu mir aufs Grundstück. Ich sehe ein, dass ich auf hohem Niveau jammere. Gerade in der Pandemiezeit ging es mir in meinem schönen Garten sicher besser als vielen anderen. Und hätte ich keine Nachrichten geguckt, wäre es mir noch besser gegangen.
Machen Sie sich Gedanken, wie wir über den Winter kommen?
Engler: Ja, natürlich. In der Nachbarschaft oder beim Einkaufen bekomme ich mit, was die Menschen umtreibt. Mir selbst geht es finanziell gut, aber ich kann die Sorgen der Leute absolut nachvollziehen. Natürlich hoffe ich, dass nicht alles so schlimm kommt, wie es jetzt vielerorts schwarzgemalt wird. Ich rechne jedoch damit, dass es Engpässe geben kann, die ich mit meinen 60 Jahren noch nie erlebt habe. Ich bin 1961 auf die Welt gekommen, ich habe keinen Krieg und keine wirtschaftliche Not erlebt. Ich bin geprägt vom Wirtschaftswunder und vom Ende des Kalten Kriegs. Und jetzt stehen wir da mit dieser ganz neuen Situation.
Pur hat sich immer schon zu gesellschaftlichen und politischen Themen geäußert, so auch auf „Persönlich“. Den Song „Verschwörer“ gibt es sogar in zwei Versionen, einer ruhigen und einer lauten.
Engler: Die laute kommt von unserem Produzenten Götz von Sydow, die leise von unserem Keyboarder Ingo Reidl. Ich wollte beide Nummern draufhaben, weil beide extrem stark sind. Mich fasst es sehr an, dass es Leute gibt, die so einen unglaublichen Mist erzählen wie diese Verschwörungstheoretiker und Querdenker oder wie auch immer sie sich nennen. Sich lieber im Internet bei dubiosen Quellen zu bedienen und die Medien, die nachvollziehbar ihre Quellen offenlegen, als „Lügenpresse“ zu titulieren, das ergibt für mich absolut keinen Sinn.
Sie singen in „Persönlich“: Mir persönlich ist es wichtig, nicht zu allem was zu sagen. Mir persönlich ist aber wichtig, etwas beizutragen, von dem alle etwas haben.“
Engler: Mit dieser Aussage, die mir sehr am Herzen liegt, habe ich den Song angefangen, ohne zu wissen, wo er hingeht. Es stimmt: Wenn ich ab und zu ein Lied hinbekomme, das vielen aus der Seele spricht, dann fühle ich mich gut. Aber ich bin wirklich nicht derjenige, der überall seinen Senf dazugeben muss.
Im Stück „Im Pool“ ist auch ein kleiner Rückblick auf die Zeit Mitte der Neunziger, als ihr rasant berühmt wurdet.
Engler: Es ist immer noch der Wahnsinn, wenn man daran denkt. Plötzlich war meine Nase überall bekannt. Für die anderen – wie auch für mich selbst – war es so, als würde ich mich über Nacht auf einem anderen Planeten bewegen. Die meisten konnten mein Leben nicht nachvollziehen. Es war nicht einfach, in der Zeit einen engen Freund zu behalten, mit dem man andere Dinge besprechen konnte als die Karriere, und der einem auch nichts neidete.
Während der seltsamen „Winnetou-Debatte“ im Spätsommer ist auch eurem Song „Indianer“ eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteilgeworden. Sie haben sich beim Open Air auf Schalke dazu geäußert und gesagt: „Es geht nicht um die Nöte der nordamerikanischen Ureinwohner, sondern um Kindheitserinnerungen, die wir uns auch nicht nehmen lassen.“
Engler: Das Lied ist von 1989. Genauso gut hätte es auch „Captain Kirk“ oder „Robin Hood“ heißen können. Oder eben „Winnetou“. Diese erfundenen Figuren waren als Kind und Jugendlicher meine Helden. Ich finde absolut, dass man die Belange der Native Americans respektieren sollte, aber darum geht es in dem Lied nicht. Man muss lernen, die Dinge zu trennen: Die Ernsthaftigkeit der damaligen Realität und das heutige Leben in den Reservaten sollte man im Blick haben. Aber den Spaß muss man sich deshalb nicht verbieten lassen. Ich nehme mir jedenfalls das Recht, ein Lied wie „Indianer“ auch weiterhin singen zu dürfen.
Es gibt ja gerade keinen Mangel an Diskussionen rund ums Gendern, um kulturelle Aneignung, um die sogenannte Wokeness. Wo stehen Sie in diesem ganzen Diskurs?
Engler: In vielen Kontexten finde ich die Diskussionen begrüßenswert und richtig. Ich versuche, mich langsam umzugewöhnen und einiges in meinen Sprachgebrauch mit aufzunehmen. Letztens habe ich mich bei einem Radiointerview dabei ertappt, dass ich nur „Liebe Hörer“ gesagt habe, das war mir danach unangenehm. Als 60-Jähriger, der sprachlich anders geprägt wurde, verfalle ich manchmal in alte Gewohnheiten, arbeite aber an mir.
Wie ist denn das so generell mit der 60?
Engler: Das war der erste runde Geburtstag, der mich ein bisschen durcheinandergebracht hat.
Weshalb?
Engler: Als mein Vater 60 war, stand für ihn fest, dass er zwei Jahre später in den vorgezogenen Ruhestand gehen würde. 60 hieß für mich also: Da hört einer bald auf zu arbeiten, und dann lässt er nach. Weil ich es bei meinem Papa so erlebt habe. Ich habe also eine Bestandsaufnahme an mir selbst gemacht und herausbekommen, dass ich ein paar Mangelstellen am Bewegungsapparat habe, die das Leben auf der Bühne hin und wieder etwas schmerzhafter gestalten. Aber ich habe auch, inspiriert von der buddhistischen Philosophie, eine schöne Dankbarkeit entdeckt. Einfach Danke zu sagen für das Maß an Gesundheit, das mir zur Verfügung steht, das baue ich morgens in meine Gedanken mit ein. Auch wenn es im Rücken zieht, kann ich noch sehr vieles tun. Und der Kopf fühlt sich sowieso noch frisch an.
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