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Interview
27.06.2022

Hans Joas „Das ist das Problem mit der Moral in der Politik“

Zwischen Weltethos und Weltmacht: Hans Joas ist einer der bedeutendsten Soziologen der Gegenwart.
Foto: Katharina Ebel, kna

Der Soziologe Hans Joas spricht über die historisch neue Lage, in der die Menschheit heute ist, über den Westen in der Welt – aber auch über problematische Identitätspolitik.

Herr Joas, mit der Klimakrise stehen wir vor einer Herausforderung, in der die Menschheit als Ganze sich als Schicksalsgemeinschaft sehen könnte, vielleicht müsste. Ist das das erste Mal in der Geschichte?

Hans Joas: Ich würde unterscheiden zwischen gemeinsamer Betroffenheit von Problemen und gemeinsam wahrgenommener Verantwortung. Wenn wir von Betroffenheit reden, dann geht der gegenwärtigen Situation im Sinne weltweiter Bedeutung sicher einiges voraus, zum Beispiel die beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert und die Weltwirtschaftskrise. Aber das ist natürlich etwas ganz anderes als die Wahrnehmung einer gemeinsamen Verantwortung. Da ist am ehesten an die sogenannten Weltreligionen zu denken, Gruppen von Gläubigen, die größer wurden und auch zu wissen beanspruchten, was wichtig ist für das Heil der ganzen Welt. Aber wenn man das beides nun zusammenbringt, die Betroffenheit und die gemeinsam wahrgenommene Verantwortung, dann ist sicherlich etwas Neues in der Gegenwart da. In Hinsicht auf die Klimakrise, allerdings auch in Hinsicht auf die wirtschaftliche Lage. Aber natürlich darf in dem Pathos der gemeinsamen Verantwortung das Verursacherprinzip nicht ganz untergehen.

Inwiefern?

Joas: Ich kann nachvollziehen, wenn außerhalb Europas und Nordamerikas gesagt wird: Erst erreicht Ihr durch die Ausnutzung fossiler Energien, Rohstoffen aus aller Welt und Sklavenarbeit Euer Wohlstandsniveau - und dann sollen wir, wenn wir dasselbe Niveau anstreben, es nicht mehr erreichen dürfen, weil Ihr sagt, es gebe starke ökologische Gründe, die dagegen sprechen … Da überdeckt dieses Wort der Verantwortungs- und Schicksalsgemeinschaft einiges an globalen Ungleichheiten.

Aber was befähigt den Menschen zu sehen: Ist das gut im Sinne aller?

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Joas: Diese Fragestellung ist ihm nicht natürlich: Von Natur aus ist der Mensch zwar kein amoralisches Wesen, aber die moralischen Regungen beziehen sich ursprünglich auf nahe stehende Personen, von der eigenen Familie über das eigene Volk zur eigenen Nation und zur eigenen Religionsgemeinschaft. Nun aber sollen nicht nur alle Menschen in der ganzen Welt als volle Menschen betrachtet und aller Wohl berücksichtigt werden, sondern sogar, wie im Fall des Klimawandels, auch die Menschen, die es noch gar nicht gibt, Menschen der Zukunft. Aber diese universelle Fragestellung hat eben durchaus selbst eine Geschichte mit verschiedenen Wurzeln. Und diese zeigt, dass ein solches alle Menschen umfassendes moralisches Denken ständig gefährdet ist von einem Rückfall in moralischen Partikularismus.

Lassen sich darin für heute noch lehrreiche Muster erkennen?

Joas: Nehmen wir nur das 20. Jahrhundert, da gibt es zwei besonders anschauliche Konstellationen. Zum einen die amerikanische Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King. Das war eine zutiefst christliche Bewegung zur Gleichberechtigung der Schwarzen in den amerikanischen Südstaaten – aber auf der anderen Seite waren auch diejenigen, die die Rassentrennung dort verteidigt haben wie vorher die Sklaverei, allergrößtenteils tiefgläubige Christen. Angesicht dessen kann man weder behaupten, dass die christliche Religion immer schon eine Religion der Freiheit war, noch, dass sie immer bloß ein ideologisches Mittel der Unterdrückung gewesen sei.

Und zum anderen?

Joas: Gandhi und die antikoloniale Bewegung in Indien. Denn da ist die britische Kolonialmacht, die ihre wahrlich vorhandenen Eigeninteressen universalistisch rechtfertigte, anfangs christlich, dann immer mehr mit dem Gestus der zivilisatorischen Überlegenheit. Und Gandhi hält dagegen: Euren Universalismus grundsätzlich in allen Ehren - aber wir erleben, dass er bei Euch heuchlerisch und nur Fassade ist. Dagegen sagen wir jetzt aber nicht: Wir bekämpfen diesen Universalismus des Westens. Sondern ich zeige, dass sich aus indischen spirituellen und religiösen Traditionen ein authentischerer Universalismus gewinnen lässt, der uns anleitet bei unserem Widerstand gegen Eure Kolonialherrschaft.

Das im Westen verbreitete Gefühl ist aber doch noch immer, dass solche hehren moralischen Werte eine hiesige Errungenschaft seien, dass etwa der Islam auch erst mal so etwas wie eine Aufklärung durchlaufen müsste …

Joas: Es gibt im Westen zwei Monopol-Ansprüche. Der eine ist zu sagen: Das liegt am Christentum oder an der jüdisch-christlichen Tradition. Der andere: Das liegt an der Aufklärung. Aber es gibt eben nachweislich eine Entwicklung des moralischen Universalismus abseits von beidem, zum Beispiel den frühen Buddhismus und den frühen Konfuzianismus. Die haben ihre politischen Anpassungen erlebt – aber das Christentum ja auch, spätestens durch das Römische Reich unter Kaiser Konstantin, der zum Christentum übertrat, durch den aber auch der Anspruch des moralischen Universalismus zum Legitimationsmittel eines Imperiums wurde.

Und der Islam?

Joas: Ist ein schwieriger Fall. Von Hause aus halte ich ihn für einen Universalismus, das hat ihn ja auch gerade zu seiner großen Ausdehnung befähigt und zu seiner kulturellen Unabhängigkeit gegenüber der arabischen Kultur. Das wird abgewehrt im Westen, indem die Expansion oft als ausschließlich gewaltvolle geschildert wird – aber das ist ein in Zeiten des islamistischen Terrorismus wiederbelebtes Feindbild, das so für den Raum von Iran bis Indonesien, aber auch für den Islam in Afrika nun wirklich keine allgemein zutreffende Beschreibung ist.

Das heißt, dass sich bei einer gemeinsamen globalen Verantwortung überall an Traditionen anknüpfen ließe?

Joas: Ja. Der Pionier eines solchen Denkens im 20. Jahrhunderts war Karl Jaspers mit der sensationellen These von der Achsenzeit. Demnach entstand eine Art Menschheitsethos in etwa derselben Epoche im antiken Griechenland, Israel, China und Indien – und wahrscheinlich auch im Iran. Die Pointe war schon damals: Damit sich nichts Eigensüchtiges hineinmischt, sollen die universalistischen Potenziale dieser Traditionen in ihrer Selbstentfaltung unterstützt werden, wodurch ein moralisches Bündnis über alle Grenzen und Unterschiede der Religionen hinweg geschmiedet werden kann.

Wie soll das gehen?

Joas: Mich interessieren die historischen Fälle dieser Art sehr. Eine Vernetzung hat es etwa schon bei Gandhi gegeben. Der hat bekanntlich an Tolstoi geschrieben und war wiederum für Martin Luther King eine Orientierung. Es gibt nachweisbare Wechselwirkungen dieser Art, bis heute. Und das jetzige China von Xi Jinping bezieht sich sogar selber auf Jaspers und die Achsenzeit – aber leider missbräuchlich.

Inwiefern?

Joas: Es argumentiert damit, dass die chinesische Kultur schon immer fundamental unabhängig und unterschiedlich von der westlichen Kultur gewesen sei. Dabei bestand die Pointe ja darin, zu sagen: Ihr könnt den Maßstab des moralischen Universalismus als Maßstab Eurer Politik akzeptieren, ohne dass dieser Maßstab als ein kulturell importierter zu gelten hat, weil er in Eurer eigenen Tradition liegt. Aber die Auslegung der Geschichte ist in China natürlich von extremer politischer Brisanz und streng ideologisch durchdrungen.

Wie in Russland?

Joas: Russland ist in dieser Hinsicht ähnlich dem, was in der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts eine große Rolle gespielt hat, wo spätestens nach den Napoleonischen Kriegen das Deutsche im Gegensatz zum Rationalismus der Franzosen und zum Utilitarismus der Briten definiert wurde. Wir, so hieß es auch bei den größten Geistern wie Thomas Mann, haben dagegen zum Beispiel die Musik entwickelt. Und ich sehe mit großem Unbehagen, dass es in einflussreichen Kreisen in Russland jetzt eine solche anti-europäische Selbstdefinition gibt – dass es aber auch bei uns eine Stereotypisierung des Russischen gibt hin zum Barbarischen, die typisch ist für Kriegssituationen, der aber eigentlich alle Menschen, besonders die mit historischer Bildung, entgegentreten sollten.

Moral wird statt universell also zur Spaltung genutzt, wird Kriegsmittel.

Joas: Seit die Kriege – anders als die „Kabinettskriege“ der absolutistischen Monarchien –, vor der Bevölkerung gerechtfertigt werden müssen, braucht es immer eine die Massen ergreifende moralische Rechtfertigung …

Und innenpolitisch? Auch zum Beispiel die Emanzipationsbewegung der sogenannten Identitätspolitik tritt ja mit großem moralischen Gestus auf …

Joas: Hier taucht etwas wieder auf, was man bei Martin Luther King schon sieht: Der hatte es auf der schwarzen Seite auch schon immer mit einigen zu tun, die geleitet waren von Rachemotiven für das eigene Unterdrückt-worden-Sein, nach dem Motto: Zur Vergeltung drehen wir jetzt den Spieß mal um. Aber King hat energisch dafür gekämpft, den Universalismus nicht aus den Augen zu verlieren. Denn die große Falle ist doch, dass eine Ungerechtigkeit nur durch eine andere abgelöst wird – und nicht durch höhere Gerechtigkeit. Und das könnte auch heute ein Ausweg aus bloßen Identitätsdiskussionen sein, auch in ganz anderen Gebieten.

Zum Beispiel?

Joas: Kann eine jahrhundertelange Benachteiligung der Frauen durch plötzliche, sehr starke Bevorzugung von Frauen ausgeglichen werden? Das darf man unter universalistischen Gesichtspunkten fragen, denn derjenige, der heute das Nachsehen hat, ist ja nicht der, der früher bevorzugt wurde. Es sind verschiedene Menschen, von denen wir reden. Und es ist nur nachvollziehbar, dass manche es als ungerecht empfinden, wenn man ihnen die Verantwortung für historische Verhältnisse stellvertretend zuschreibt. Aber das ist alles vermintes Gelände, über das man eigentlich nur in großer Ruhe und Fairness reden kann, sonst klingt alles immer gleich falsch. Bloß genau diese Ruhe und Fairness und damit die Möglichkeit zur Verständigung finden sich heute in den von den sogenannten Sozialen Medien angeheizten Debatten leider immer weniger.

In welchem Verhältnis sollten Moral und Politik im besten Fall stehen?

Joas: Für mich sagt da ein Zitat von Abraham Lincoln das Entscheidende, freilich in der Art des 19. Jahrhunderts in Amerika: „Wir sollten nie sagen, Gott steht auf unserer Seite. Sondern wir sollten uns stets fragen: Stehen wir auf Gottes Seite?“ Und das lässt sich auf die Frage des moralischen Standpunktes übertragen: Nimm nicht in Anspruch, du seiest die Verkörperung des Richtigen – sondern verwende deinen hohen moralischen Maßstab für die selbstkritische Beurteilung dessen, was du tust. Denn das ist die Gefahr mit der Moral in der Politik: Dass man sich selbst ganz auf der Seite des Guten sieht – als „God’s own Country“, als Hort der Zivilisiertheit – und damit meint, auch alles, was man tut, sei gut. Dabei ist die Moral hier oft nur ein Mäntelchen für ganz andere Interessen.

Zur Person: Hans Joas, 73, ist einer der bedeutendsten Soziologen der Gegenwart. Der gebürtige Münchner lehrt an der Berliner Humboldt-Universiät und ist Autor zahlreicher Bücher, zuletzt „Warum Kirche?“ (Herder-Verlag). Joas hält als Gastdozent am Jakob-Fugger-Zentrum der Universität Augsburg zwischen 28.6 und 5.7. drei öffentliche Vorträge – bei freiem Eintritt nach Anmeldung.

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