Lisa Frickes neuer Roman: Soll man diplomatisch bleiben?
Die Berliner Autorin schreibt über eine deutsche Konsulin in Istanbul, der die Geduld abhandenkommt. Ein großartiger Roman, traurig aktuell.
Waffen oder Diplomatie? Als ob es nur das eine oder andere gäbe, auch wenn die Diskussion in Deutschland derzeit immer wieder so geführt werden mag. So auch, als habe die Diplomatie ihre ohnehin nur leichten Waffen bereits gestreckt. Was aber kann die Diplomatie tatsächlich ausrichten gegen Autokraten wie den russischen Präsidenten Putin – oder beispielsweise auch den türkischen Amtsinhaber Erdogan? Wie weit darf Kompromissbereitschaft gehen? Wo sind die Grenzen?
„Die Diplomatin“ heißt der neue Roman der Berliner Schriftstellerin Lucy Fricke, in dem sie um Antwort auf diese Frage ringt. Den Konflikt – handeln oder weiter verhandeln – trägt im Buch Friederike Andermann, genannt Fred, Diplomatin in den besten Jahren, aus.
Die Diplomatin handelte nicht entschieden genug
Fred ist ledig, keine Kinder, die Mutter schickt ihr aus Hamburg immer mal wieder einen Schinken. Der Mann, der ein Ehemann hätte werden können, hat sich beim ersten Auslandseinsatz verabschiedet. Er tauge nicht zum MAP, „mitausreisender Partner“ beziehungsweise „man at the pool“. Ihren ersten Einsatz als Botschafterin im an sich so beschaulichen Montevideo in Uruguay hat sie vermasselt. Zwar bestellt sie die richtigen Würstchen fürs Fest zum Tag der Deutschen Einheit, das wichtigste Event des Jahres. Aber in einem Entführungsfall handelt sie nach Ansicht der Vorgesetzten offenbar nicht entschieden genug. Nach einem Strafjahr in Berlin wird sie – „degradiert“ zur Konsulin – nach Istanbul geschickt.
Die Stadt? Unbeschreiblich! „Ich sah auf die Stadt hinunter, auf den Bosporus, der Istanbul nicht teilte, nur endloser machte. Es gab kein Asien, kein Europa, keinen Orient und Okzident, dieses Gerede hatte ich immer schon für romantischen Unsinn gehalten. Es gab nur Istanbul, das in der Mitte thronte. Eine Stadt, deren Schönheit mich immer noch erschütterte, eine stolze Frau mit offenen Wunden.“
Im Visier der türkischen Behörden
Jeden Tag aber wird Fred dort mit der eigenen Machtlosigkeit konfrontiert. Gegen die willkürlichen Inhaftierungen deutscher Staatsbürger wie beispielsweise Meral, die unliebsame Ausstellungen kuratiert hat, kann auch die Konsulin nichts ausrichten, bestenfalls im Gerichtssaal zur demonstrativen und moralischen Unterstützung sitzen. Als Merals Sohn in die Türkei reist, um die Mutter im Gefängnis zu besuchen, gerät auch er ins Visier der türkischen Behörden – der Student aus Deutschland war einst bei einer prokurdischen Demonstration in Berlin mitgelaufen. Und dann wäre da noch ein Journalist, Liebhaber für eine Nacht, ebenfalls bald ein Fall für die türkische Justiz.
„Wir raten ständig ab. Wir raten ab von Reisen in den Südosten, von Demonstrationen, von Kundgebungen. Wir raten davon ab, die eigene Mutter im Gefängnis zu besuchen. Aber Abraten allein ist keine Diplomatie“, sinniert die zunehmend frustrierte Friederike, der in Istanbul die wichtigste Tugend der Diplomatie abhandenkommt: die Geduld. Was der Protagonistin aber bleibt, was den so präzis, sprachlich schnörkelfrei und spannend erzählten Politkrimi dann auch so wunderbar unterhaltsam macht, ist ihr Humor, ihre selbstironische Art. Das Leben des diplomatischen Korps bestehe aus „Lachen, Lügen und Lachsfressen“, konstatiert sie an einer Stelle.
Nicht nur versnobte, versoffene Typen
Fricke, deren Roman „Töchter“ zum mittlerweile mehrfach übersetzten Bestseller wurde, lebte selbst über mehrere Monate in Istanbul als Stipendiatin der Kulturakademie Tarabya und hat während dieser Zeit für ihren Roman recherchiert, mit Diplomatinnen und Diplomaten gesprochen. Sie habe dabei auch ein ganz anderes Bild gewonnen als das, was sie in anderen Romanen des Genres entdeckt: Da seien, so Fricke, die Protagonisten „meist versnobte, versoffene Typen, die an irgendeinem Ort hocken und sich langweilen“. Alkohol spielt auch im Roman zwar eine Rolle, Whisky unter anderem, aber Friederike kämpft nicht gegen Langeweile, sondern gegen den Frust.
Entscheidungen müssten auf der Grundlage von Fakten und nicht von Gefühlen oder Hoffnungen getroffen werden, erklärt ihr der Botschafter, der ahnt, dass die Kollegin und Freundin vor einer Entscheidung steht: „Wir können uns dem türkischen Recht nicht widersetzen. Das wäre ein Fehler, und die Fehler machen immer noch sie, nicht wir.“ Ist das, was dann passiert, ein Fehler? Ein großartiger Roman über die Grenzen der Diplomatie, traurig aktuell.
Lucy Fricke: Die Diplomatin. Claasen, 256 S., 22
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