Hat Rammstein alles ausgestanden – oder kommt da noch was?
Die Europatournee von Rammstein läuft wie gehabt weiter, während die Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe sich häufen – nicht mehr nur gegen Till Lindemann.
Rammstein? War da was? Ausverkaufte Stadien, martialische Auftritte, jubelnde Fans. Fast scheint alles beim Alten für die sechs Musiker der weltweit bekanntesten deutschen Band. Die Platten von früher sind zurück in den Charts, die Europatournee läuft, im Juni füllten sie viermal in Folge das Münchner Olympiastadion. Jetzt haben Rammstein drei Konzerte vor 60.000 Zuschauerinnen und Zuschauern in ihrer Heimatstadt Berlin gespielt. Mit dem Auftritt am Dienstagabend haben sich die Musiker aus Deutschland verabschiedet, doch die Vorwürfe häufen sich.
Denn seit die Irin Shelby Lynn Ende Mai in den sozialen Medien berichtete, sie sei bei einem Rammstein-Konzert unter Drogen gesetzt worden und Sänger Till Lindemann habe Sex mit ihr gewollt, reißen die Anschuldigungen nicht ab. Zahlreiche Frauen meldeten sich zu Wort. Sie werfen Lindemann Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe vor. Berichten zufolge sollen junge weibliche Fans systematisch für After-Show-Partys und Sex mit dem Rammstein-Sänger rekrutiert worden sein. In einzelnen Fällen sollen die sexuellen Handlungen nicht einvernehmlich abgelaufen sein. Einige Frauen versicherten ihre Aussagen eidesstattlich, würden sie also auch vor Gericht wiederholen.
Das Rekrutierungssystem bei Rammstein könnte weitaus größer gewesen sein
Während die Musiker in den vergangenen Wochen einiges getan haben, um gegen die Anschuldigungen vorzugehen, haben sich weitere Frauen bei NDR und Süddeutscher Zeitung gemeldet. Die Vorwürfe richten sich jetzt nicht mehr nur gegen Lindemann, sondern auch gegen den Rammstein-Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz. Zudem legen die Schilderungen der Frauen nahe, dass sexualisierte Grenzverletzungen weitaus früher passiert sein könnten als bislang bekannt.
Ebenfalls brisant: Die jüngsten Recherchen lassen vermuten, dass das Rekrutierungssystem offenbar deutlich größer war als bisher angenommen. Anfangs stand lediglich die Russin Alena Makeeva im Verdacht, junge Fans für Lindemann gecastet zu haben. Die Band soll sich mit Bekanntwerden der Vorwürfe umgehend von der Assistentin getrennt haben. Doch den Berichten zufolge sollen offenbar auch andere Personen in den vergangenen Jahren gezielt Frauen für Lindemann ausgesucht haben.
Die drei Auftritte von Rammstein im Berliner Olympiastadion fanden trotz Petition statt
Seit die ersten Anschuldigungen erhoben wurden, formiert sich der Widerstand gegen die Band. Kritikerinnen und Kritiker hatten eine Petition gestartet, um die Konzerte in Berlin zu verhindern. Zigtausende hatten unterschrieben, doch die drei Auftritte im ausverkauften Olympiastadion fanden statt, wenn auch unter Protesten. Bereits Ende Juni hatten Unbekannte die Scheiben des Bandbüros in Berlin eingeschlagen.
Seit Mitte Juni läuft außerdem eine Spendenaktion, an der sich auch Prominente wie Schauspielerin Nora Tschirner, Kabarettistin Carolin Kebekus oder Youtuber Rezo beteiligten. Mehr als 800.000 Euro wurden mittlerweile gesammelt, um die Frauen zu unterstützen, die sich zu den Vorwürfen gegen Rammstein gemeldet haben und denen jetzt rechtliche Konsequenzen drohen.
Es gingen offenbar mehrere Strafanzeigen gegen Lindemann ein
Denn es hagelt Abmahnungen und Unterlassungsklagen gegen die Frauen. So berichtete etwa die Youtuberin Kayla Shyx über ihre Erfahrungen bei einem Rammstein-Konzert und erhielt eine Abmahnung der Anwaltskanzlei Schertz Bergmann, die Lindemann in der Sache juristisch vertritt. Inzwischen ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen den Rammstein-Frontmann. Offenbar gingen mehrere Strafanzeigen ein. Wer diese gestellt hat, ist bislang allerdings nicht bekannt.
Lindemann selbst wies die Vorwürfe zurück. Bis zum Abschluss der Ermittlungen gilt die Unschuldsvermutung. Auch Keyboarder Lorenz lässt die jüngsten Aussagen gegen ihn durch einen Anwalt dementieren. Wie reagiert die Band? In einer Erklärung hieß es Anfang Juni, man verurteile jede Art von Übergriffigkeit. Schlagzeuger Christoph Schneider veröffentlichte zudem ein Statement auf Instagram, in dem er sich von Lindemann distanziert: „Die Anschuldigungen der letzten Wochen haben uns als Band und mich als Menschen tief erschüttert“, schrieb der 57-Jährige. Er glaube nicht, dass etwas strafrechtlich Relevantes passiert sei. Doch Schneider ließ die Fans wissen, dass sich Lindemann in den letzten Jahren von der Band entfernt und sich seine eigene Blase geschaffen habe.
Auf der Bühne stehen die Musiker aber weiterhin gemeinsam. 21 Konzerte haben sie seit Bekanntwerden der Vorwürfe gegeben, acht weitere stehen an. Statt klarer Worte liefern sie subtile Botschaften. So sang Lindemann beim Konzert in Berlin im Lied „Angst“ nicht wie gewohnt vom „schwarzen Mann“, sondern änderte die Zeile in „Alle haben Angst vorm Lindemann“. Sollte das Rammstein-übliche Selbstironie sein? Im Song „Ohne dich“ trällert Lindemann dann nicht von singenden Vögeln, sondern: „Und die Sänger vögeln nicht mehr.“ Adieu Rammstein, vielleicht ist es wirklich Zeit zu gehen.
Die Diskussion ist geschlossen.
Die Konzerte sind ausverkauft und ob das weiter so bleibt, entscheiden ganz alleine die Fans. Und mit Lindemann passiert, wird ein Gericht entscheiden und nicht die Medien. Diese Tatsache ist für viele Journalisten anscheinend unerträglich.
"Adieu Rammstein, vielleicht ist es wirklich Zeit zu gehen."
Dieser Satz ist ein persönliches Statement der Autorin, wahrscheinlich war die Band noch nie so ganz ihr Geschmack. Nein, ich denke nicht, dass es für diese geile Band schon Zeit ist zu gehen. Ich werde sie gerne weiter hören. Sexuelle Übergriffe sind nicht in Ordnung und sollten entsprechend geahndet werden. Aber wenn jetzt nach mehr als 20 Jahren Frauen wie die Lemminge das Licht der Öffentlichkeit suchen – das ist auch etwas seltsam. Ich bin schon gespannt, wenn die Groupies der 1960er Jahre aus der Gruft steigen. Die Partys dieser Zeit waren auch nicht ohne. Was mich allerdings immer wieder wundert: wie lassen sich Frauen und Mädchen für so eine Party regelrecht rekrutieren, ohne dass sie bereit sind, alles mitzumachen, was geboten ist? Sind die Mädchen bzw. Frauen heute so naiv oder wie muss man sich das vorstellen? Mit einer extrem adrenalingeladenen Band zur After-Show-Party zu gehen, sich bewusstlos zu saufen bis zur Orientierungslosigkeit und sich dann zu beklagen, dass das ganze irgendwie nicht so gelaufen ist wie gedacht – das ist schon ziemlich naiv.