"Rheingold": Ist Bayreuths Macht schon wieder am Wirken?
Vergangenes Jahr ist der von Valentin Schwarz inszenierte "Ring des Nibelungen" durchgefallen. Jetzt wurde der erste Teil neu aufgelegt. Und im Graben ein neuer Dirigent.
Wenn man noch im Ohr hat, wie vergangenen Sommer am Ende der damals neuen "Ring"-Produktion ein Buh-Gewitter auf den Regisseur Valentin Schwarz herniederging, wenn zudem in den zurückliegenden Tagen viel von der angeblichen Karten-Schwerverkäuflichkeit eben dieser "Ring"-Inszenierung die Rede war, dann staunte man doch nicht wenig, als jetzt, bei der Wiederaufnahme des "Rheingolds", des ersten Teils von Richard Wagners Nibelungen-Tetralogie, der Vorhang im Festspielhaus gefallen war: starke, ungetrübte Zustimmung zu dieser "Ring"-Eröffnung. Ist da schon wieder der alte Bayreuther Mechanismus am Wirken, wonach das erst einmal brüsk Abgelehnte über die Zeit hinweg dann doch in seinem Wert erkannt wird?
Wobei schon 2022 galt, dass "Rheingold" sich als die gelungenste unter den vier Einzelinszenierungen erwies. Hier entfaltet Valentin Schwarz erst einmal seinen Ansatz, bevor er die einmal ausgelegten Erzählstränge durch "Walküre", "Siegfried" und "Götterdämmerung" sinnfällig fortspinnen muss. Und Wagners "Vorabend", der auf der Ebene des Librettos den Raub des Rheingolds durch Alberich zeigt sowie die fatalen Folgen dieser Tat, hat von Schwarz auch unbestreitbar einigen konzeptionellen Charme mitbekommen. Schon gleich zum Orchester-Vorspiel, wenn man per Videoprojektion zwei Embryonen an ihren Nabelschnüren schweben sieht, friedvoll zunächst, doch dann scheint der eine den anderen zu boxen – eine eindrückliche Bildmeditation darüber, wie, möglicherweise, das Böse in die Welt gelangt, ja vielleicht pränatal, prähistorisch schon vorhanden ist ...
Der Ring wird zum Goldjungen
Daran schließt sich die ideelle Umschmiedung des Goldes aus dem Rhein nicht zu einem goldenen Reif, sondern zu einem Kind, einem Goldjungen an, den Alberich für seine Machtziele missbraucht. Im Vorfeld der Wiederaufnahme hat Valentin Schwarz erklärt, dass er im Sinne des Bayreuther Werkstattgedankens seine Inszenierung hier und dort nachzuschärfen gedenke. Dass der mit goldgelbem T-Shirt ausstaffierte Junge, eine erfundene stumme Rolle, symbolisch den fluchbeladenen Ring darstellt, wird nun mehrfach herausgestrichen, wenn Wotan, vom "Ring" sprechend, wiederholt auf den Goldjungen zeigt. Und das wandelnde Symbol fügt sich im "Rheingold" auch gut ein in die Götter-, Riesen- und Albengesellschaft, die Schwarz komplett entmythologisiert und in ein gehobenes Mittelstands-Hier-und-Heute verpflanzt hat.
Mit manch hintergründigem Humor – die Hantel, zu der Sportsfreund Wotan greift, ist viel zu schwer –, aber auch mit tiefsinnigen szenischen Findungen wie jener, in der Wotan ahnungsvoll auf die zerstörerische Wutattacke des Goldjungen (des Rings!) blickt. Schwarz' Inszenierung, keine Frage, hat ihre Qualitäten.
Sängerisch ist die diesjährige "Ring"-Auftakt eher unauffällig, zuweilen wünscht man sich gar, die Hauptakteure Wotan (Tomasz Konieczny) und Alberich (Olafur Sigurdarson) möchten doch auch mal aus ihrem Dauer-Espressivo – hier der stets auftrumpfende Chefgott, dort der stets empörte Underdog – herausfinden zu differenzierterer Gestaltung. Diesbezüglich einsame Spitze an diesem Abend: Okka von der Damerau als warnende Urmutter Erda.
Endlich am Pult: Pietari Inkinen
Der Newcomer im Bayreuther "Ring" 2023 ist in Wirklichkeit ein alter Hase. Der finnische Dirigent Pietari Inkinen hatte im vergangenen Jahr schon ausgiebig geprobt mit dem Festspielorchester, als er an Corona erkrankte. Jetzt kommt Inkinen endlich zum Zuge und modelliert einen Wagner nach eigener Lesart: keineswegs dramatisch vorwärtsdrängend, dennoch auf Innenspannung bedacht, mit Lust am signifikanten Detail und einer generellen Tendenz, der Partitur die Blechlastigkeit zu nehmen, dafür die Rhythmik deutlicher herauszuarbeiten. Auch musikalisch also bleibt es spannend, wie es weitergeht bei den anstehenden drei großen "Ring"-Bewährungsproben.
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