Pearl-Jam-Sänger Eddie Vedder: Der Letzte seiner Art
Alle großen Stimmen des Grunge sind längst verklungen, außer die des Pearl-Jam-Sängers Der wagt nun solo Neues – und gerade in seinem Scheitern spiegelt sich bleibende Größe.
Wie bei sich selbst bleiben, wenn einem plötzlich Millionen Menschen an den Lippen hängen? Wie zu einem guten, produktiven Künstlerleben finden, wenn zum Kern des eigenen Schaffens die Wut, der Schmerz und das Scheitern gehören? Denn so ist es ja gerade beim Grunge, dieser Spielart des Rock, die vor jetzt genau 30 Jahren von Seattle aus die Welt eroberte – und damit eben auch im Rekordtempo kurz zuvor noch prekäre Existenzen in ihren frühen Zwanzigern zu Protagonisten eines Hypes machte.
Mittendrin, als Sänger der Band Pearl Jam, war er: Eddie Vedder. Mit wellig wallender Mähne, bartlosem Jünglingsgesicht, mit prägnanter Stimme vom warmen Bariton bis zum ekstatischen Juchzen, vor allem aber dieser Bänder zersetzenden, aus dem Bauch nach oben gepressten Singstimme; und mit kaum Worten abseits der Songs an das Publikum, aber waghalsigen Sprüngen aus zehn Metern Höhe und mehr in dieses hinein. Später erinnerte sich Vedder, gereift, vollbärtig: „Wir hatten anfangs eine aufregende Zeit, aber schon bald ging es nur noch ums Überleben.“
Die anderen großen Stimmen des Grunge sind verstummt
Und das ist alles andere als Künstlerpathos. Denn wenn der 47-Jährige nun abseits der ja weiterhin bestehenden Formation von Pearl Jam ein neues Soloalbum veröffentlicht, dann ist er längst der Letzte seiner Art. Die anderen großen Stimmen des Grunge sind verstummt, von Nirvana, von Alice in Chains, von Soundgarden: Kurt Cobain mit Suizid im Jahr 1994, Layne Staley mit einer Überdosis 2002, Chris Cornell mit Suizid im Jahr 2017.
Und eigentlich hatte es mit Vedder und Pearl Jam auch bereits durch einen Tod begonnen. Dem des Sängers der stilprägenden Band Mother Love Bone: Andrew Wood mit Überdosis 1990. Dessen Kollegen Jeff Ament und Stone Gossard bekamen bei der Suche nach einem neuen Frontmann die Kassette eines jungen Mannes aus Chicago zugespielt, der zu drei ihrer Demo-Versionen eigene Texte gesungen hatte. Darunter die Verarbeitung seiner eigenen Geschichte: Ein Teenager, schon mit 15 zu Hause ausgezogen, erfährt erst nach deren Scheidung, dass der Mann seiner Mutter gar nicht sein Vater war. Das ist „Alive“ von Edward Louis Severson III., der sich daraufhin mit dem Mädchennamen seiner Mutter Vedder nannte und zur Verarbeitung dieses Schocks das Gitarrespielen begann, der sich lange mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt … – und dieses „Alive“ wurde der erste Hit von Pearl Jam. Der Rest ist Rockgeschichte. Mit Millionenverkäufen und legendären Konzertabenden, aber ohne Skandale. Pearl Jam und Eddie Vedder sorgten höchstens engagiert für Zoff, weil sie sich gegen die Macht der Konzertticket-Verkäufer stemmten und tatsächlich ein eigenes System mit ihren so vielen loyalen Fans etablierten; oder standen schockiert vor dem Ende, als bei einer Massenpanik auf einem ihrer Konzerte sieben Menschen starben. Schon wieder der Tod also.
Doch Pearl Jam machten weiter, Eddie Vedder erzählte weiter seine kleinen Dramen des Menschseins und von den großen Zweifeln an der Menschheit – und wurde dabei nur ab und an politisch: gegen George W. Bush und gegen Donald Trump. Statt aber auch von der stets aufs Wesentliche reduzierten Bühne zu predigen, stellte er sich schon mal ans Mikro und nuschelte nur: „My English is not very good, so I let speak my Music for me.“
Was darin spricht wiederum ist noch sehr viel mehr Rockgeschichte – und viel mehr Rocktradition als etwa bei Nirvana. Vedder verehrt The Who wie Neil Young, die Ramones wie die Doors, aber auch die frühen U2. Und das zeigt sich in der Vielfalt der inzwischen elf Pearl-Jam-Platten, die allein dank des auf ewig treuen Fanpublikums immer hoch in den Charts landen, ob in den USA oder Deutschland. Auch wenn sie sich von allem, was auch im Rock Mainstream ist, immer weiter entfernt haben. Die Reaktion der Band auf den Kampf ums Überleben damals war bereits „eine Art Verweigerungshaltung“, wie Vedder sagte.
So ist die Band, so ist ihr Sänger zu einer eigenen Marke geworden, die über den Status als Nachlassverwalter des Grunge hinausgeht – und die tatsächlich ermöglichte, die wesentlichen Probleme zu lösen: das des Bei-sich-selbst-Bleiben wie das des Führens eines guten Künstlerlebens, das sich noch immer in Wut, aber auch in Hoffnung, noch immer in Schmerz, aber auch in Liebe äußern kann. Dafür ist Eddie Vedders Stimme bis heute an Varianten sogar noch gewachsen.
Auch bisher war er schon solo zu hören
Und eine weitere Weiterung hat er auch bereits in zwei Solo-Alben vollzogen. Hat sich einen Traum erfüllt und ein ganzes Werk zur Ukulele aufgenommen, die einst sein erstes Instrument war, von der Mutter vom Flohmarkt mitgebracht. Und obwohl es auf „Ukulele Songs“ auch noch vor allem um Liebe und Herzschmerz geht, ist das Ergebnis viel mehr eigenwillig schön als schnulzig. Zuvor bereits hatte Vedder solo mit einem Akustikalbum den Soundtrack zu Sean Penns Krakauer-Verfilmung „Into the Wild“ geliefert, sogar prämiert bei den Golden Globes. Und ohnehin stimmig zu seiner Person, dem naturfreudigen, zivilisationsskeptischen Surfer, Wanderer, Stand-up–Padler Vedder. Hier der Vater zweier Töchter (in zweiter Ehe) durchaus als Prediger gegen Gier und Wachstumswahn: „Society, you’re a crazy breed“ – aber wieder nur durch die Musik.
Und nun also Solo drei: „Earthling“. So hieß schon mal ein Album von David Bowie. Doch während der ja eigentlich der Außerirdische des Pop war, ist Vedder tatsächlich ein reiner Erdling des Rock. Bloß wirkt der letzte große Grunge-Frontmann dann auf der Platte genau gegenteilig zu dem, was ihn bislang so groß gemacht hat. Es ist ein Kessel Buntes, bei dem man Eddie Vedder eigentlich kaum wiedererkennt, statt Vielfalt eher Beliebigkeit. Nicht zum Vorteil der Stimme.
Und mit Schmerzen. Am einen Ende den Song „The Haves“ genommen: eine säuselnde und jaulende Liebesballade, so nah am Schlager, wie es Vedder bisher nie war. Am anderen Ende „Brother of Cloud“: eine Rocknummer, die um einen allzu eingängigen Refrain herum ausfranst und gar nicht recht zum Song wird. Und das sind noch die besseren der 13 Songs, unter denen auch reichlich schlimmer Quatsch ist. Da helfen auch Gastspiele von Elton John, Ringo Starr und Stevie Wonder nichts.
Aber macht das was? Eigentlich nicht. Denn man versteht nur einmal mehr durch dieses Scheitern, wie außerordentlich das stete Gelingen zwischen dem jugendlich Wahren an der Wut und der wachsenden Klugheit im Altern bislang war. Und Eddie Vedder wird ja sicher auch mit Pearl Jam weiter liefern. Dann wohl an die 50 und noch weiter allein auf weiter Grungesänger-Flur. Wie wäre wohl Kurt Cobain in diesem Alter gewesen?
Die Diskussion ist geschlossen.
Lieber Wolfgang Schütz,
zuerst habe ich mich sehr gefreut in dieser Zeitung etwas über Eddie Vedder im Kulturteil zu lesen. Der Anlass für diesen Artikel ist sein neues Soloalbum, worüber man aber sehr wenig erfährt, nur dass einige Songs nicht so toll sein sollen. Ich habe sie inzwischen gehört und kann das überhaupt nicht bestätigen. Mit den starken Einflüssen von U2 oder Bruce Springsteen, die es so bei Pearl Jam viel weniger gibt, ist ein sehr vielschichtiges Werk entstanden, vielleicht sogar viel interessanter als die letzte Pearl Jam. Ich habe auch keinen Schlager gehört, es sei denn Joni MItchell und Neil Young wären SchlagersängerInnen. Leider enthält der Artikel vier sachliche Fehler: Eddie Vedder ist 1964 geboren, also bereits 57 Jahre alt. Er kam 1990 aus San Diego, Kalifornien nach Seattle, in Chicago hatte er seine Kindheit verbracht. Bei der Massenpanik in Roskilde 2000 kamen nicht sieben sondern vielmehr neun Menschen ums Leben. Und Eddie Vedder hat sicherlich niemals live davon gesprochen, dass sein Englisch schlecht sei, sondern er hat dies in vielen anderen Sprachen bekundet: in Deutsch, Italienisch, Spanisch, Kroatisch - weil er eben sehr gerne live seine Meinung kundtut.
(edit/mod/NUB 7.2)