Witz und Aberwitz in der Musik
Die Salzburger Festspiele ehren den großen Komponisten György Ligeti zum 100. Geburtstag. Patricia Kopatchinskaja geigte, sang, hupte, klingelte.
Ob der Humor zur Musik gehöre, kann nur eine rhetorische Frage sein eingedenk Bachs weltlicher Kantaten „Schweigt stille, plaudert nicht“ und „Mer hahn en neue Oberkeet“, eingedenk Haydns Abschiedssinfonie und Rossinis Buffo-Theatralik, eingedenk Beethovens kaustischen Klavierstücken. Nur liegt der Witz dort halt nicht auf der flachen Hand; er will erkannt werden. Parallel zum künstlerischen Anspruch dachten die Komponisten eher „um die Ecke“ als komödiantisch geradeaus. Humor in ambitionierter Musik, das ist eher Aberwitz, eher Groteske, eher Absurdität und Doppelbödigkeit.
Auch bei György Ligeti, diesen so fantasieüberbordenden wie naturwissenschaftlich begeisterten Neutöner, der heuer seinen 100. Geburtstag gehabt hätte und dem deshalb die Salzburger Festspiele den Konzert-Zyklus „Zeit für Ligeti“ ausrichteten. Also spielte dabei auch Ligetis Humor eine Rolle, insbesondere bei einem Kammerorchesterabend mit der Geigerin, Dirigentin, Komponistin, Sängerin und Schlagwerkerin Patricia Kopatchinskaja, die Vor- und Zwischenspiele für zwölf Autohupen und sechs Türklingeln, dazu drei Arien aus Ligetis einziger Oper „Le Grand Macabre“ aufs Programm setzte – nachdem in einem Solistenkonzert unter anderem schon Ligetis „Poème symphonique“ für hundert tickende Metronome aufgeführt worden war.
Die Salzburger Festspiele ehren in den Konzerten György Ligeti
Gerade aber die Auszüge aus „Le Grand Macabre“ bildeten den Höhepunkt des Kopatchinskaja-Konzerts mit der Camerata Salzburg im Mozarteum, bei dem der Tonkunst insgesamt der Schalk im Nacken saß. Etwa in John Cages 1940 komponierter „Living Room Music“, vor der die Instrumentalisten erst einmal ein stummes Vorspiel gaben: bügelnd, Zeitung lesend, strickend, brettspielend, staubsaugend – um dann auf allerlei Haushaltsgerätschaften wie Mülleimern und Teekännchen eine zuvörderst rhythmisch orientierte Musik zu klöppeln. Bei Mozarts „Dorfmusikantensextett“ wiederum, aufgeführt in der kammermusikalischen Version, liegt der Spaß – neben den leicht erkennbaren falschen Horntönen – im analytischen Hören, wie ein vorgeblich minder sorgfältiger Komponist sein Handwerk nicht so recht beherrscht. Das ist dann der Humor für musikalisch Fortgeschrittene. Nicht jeder erkennt hörend Quintparallelen …
Dann aber der makabre Ligeti, bei der Patricia Kopatchinskaja, dieser sowieso schon temperamentvolle, elektrisierende Bühnenwirbelwind, wirklich das Letzte gab: hupend, geigend, klingelnd, rezitierend, schreiend, flammend. Einmal mehr wurde klar, wie überzeugend Neue Musik sein kann, wenn sie nur mit gleichsam existenziellem Einsatz über einen kommt.
Der avantgardistisch ernste György Ligeti kam in Salzburg freilich auch zu Wort, und zwar bei einem Sinfoniekonzert der Wiener Philharmoniker unter dem für Franz Welser-Möst eingesprungenen Daniel Harding (kombiniert mit den „Metamorphosen“ und der „Zarathustra“-Tondichtung von Richard Strauss). Mit „Atmosphères“ hatte Ligeti 1961 bei den Donaueschinger Musiktagen seinen Durchbruch erzielt; „Lontano“ (1967) konnte dann schließlich als Höhepunkt und Resümee des Typus der "kontinuierlichen Musik" in Ligetis Oeuvre betrachtet und gehört werden. (Beide Werke wurden auch durch den Kubrick-Film „2001: Odyssee im Weltraum“ bekannt). Der Komponist wünschte sich, ein wenig pauschalisierend formuliert, für diese kontinuierliche Musik ein Klang-Band dicht verwobener Stimmgeflechte: flirrend, schwebend, kreisend. Und beide Werke erklangen nun mit den Wienern unter Harding im Großen Festspielhaus geradezu ehrfürchtig, spirituell, auch im Nachklingenlassen des oft stehenden, sich minimal weiterentwickelnden tönenden Zustands. Wenn Kopatchinskaja temperamentvoll agierte, dann die Wiener gleichsam im Hochamt und in memoriam eines großen europäischen Komponisten der Nachkriegsjahre.
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