Der Weg ins Vernichtungslager
„Die Frau und die Stadt“ ist intensiv und drastisch gut gespielt. Der Zuschauer wird im Theaterstück mit dem Schicksal einer jüdischen Autorin konfrontiert.
Eine jüdische Dichterin im Berlin des Dritten Reiches: Irgendwann hat sie nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera, zwischen flüchten – und wenn es die Flucht durch selbst bestimmten Tod ist – und Deportation in eines der Vernichtungslager. Gertrud Kolmar hat sich für Letzteres entschieden und ist im Frühjahr 1943 in Auschwitz umgekommen. Hat sie mit dem Gedanken gespielt, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen? Und wie hätte sie das bewerkstelligt? Die Schriftstellerin Gerlind Reinshagen hat sich mit der Person Gertrud Kolmar, deren Charakter und Befindlichkeiten auseinandergesetzt und das Ergebnis der Recherche in Buchform veröffentlicht.
Das bewegtbildtheater (bbt) wiederum hat aus der Geschichte ein Theaterstück gemacht, in dem Wirklichkeit und Fiktion so verwoben sind, dass Grenzen verwischen beziehungsweise gar nicht erst vorhanden waren. Jetzt gastierte bbt mit „Die Frau und die Stadt“ im Landsberger Stadttheater und hinterließ damit einen grandios gespielten, verwirrend intensiven Eindruck. Martina Roth, die sich im Aussehen ganz der „echten“, verfolgten Dichterin angenähert hatte, mimte Gertrud Kolmar in mehrfacher Ausführung. Da ist einmal die zaudernde, pessimistische, lebendig auf der Bühne stehende Gertrud. Sie liegt in ständigem Clinch mit ihrem Alter Ego in zweifacher Ausführung, der streng aufrichtigen und der stolzen, der „jetzt erst recht“ Gertrud. Diese Beiden werden für das Publikum mittels feiner Technik an der großen Hintergrundleinwand sichtbar gemacht.
Johannes Conen, der bei dem Stück auch Regie führt, hat dafür ein Video von überraschender Klarheit geschaffen. Die bewegten Bilder sind von solcher Präsenz und leuchtender Erzählkraft, dass die Worte der im Unterbewusstsein Kolmars hausenden Charaktere gar nicht mehr verstanden werden müssten. Martina Roth schafft mit hängenden Schultern und Pessimismus schon zu Beginn eine bedrückende Stimmung. Sie stiehlt sich aus dem sie fest umkrallenden Pessimismus und beschließt zu sterben, „bevor sie mich von der Fabrikarbeit weg holen“.
Todbringend soll ausgerechnet die Siegessäule sein, von ganz oben, wo „die Helden aus Bronze“ auf sie warten, will sie hinunterspringen in die vormals schöne, freundliche, jetzt aber hässlich-kalte Stadt. Sie steigt langsam, mühsam auf, indem sie sich ihre Stufen aus Mut und Entschlossenheit selbst konstruiert - von Zweifeln, Selbstmitleid, Angst aber immer wieder zurückgeworfen wird und schließlich den Weg nach oben ganz abbricht.
Die beiden Gertruds im Video folgen nach oben wie nach unten, scheinen irgendwann im freien Raum zu schweben, lösen sich auf beziehungsweise gehen zurück ins Innerste, Gertrud Kolmar hat sich ja entschieden, sie wählt den harten, den schwierigeren Weg ins Vernichtungslager. Das (leider) nicht allzu zahlreiche Publikum im Landsberger Stadttheater bleibt sprachlos, betroffen zurück.
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