Macht und Charme
Christine Lagarde ist hinter Angela Merkel die in europäischen Wirtschaftsbelangen zweitmächtigste Frau.
Die deutsche Kanzlerin und die französische Chefin des Internationalen Währungsfonds können es mit dem Pariser Staatspräsident François Hollande und Brüsseler Repräsentanten wie Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker locker aufnehmen. Die Milliarden des IWF sind gefragt.
Der Aufstieg von Lagarde, begünstigt durch den Rücktritt ihres affärengeplagten Landsmanns Dominique Strauss-Kahn, könnte weitergehen, wenn sie von Skandalen verschont bleibt. Auch die heute 56-Jährige stand schon in der Kritik. Ihr wird vorgeworfen, den französischen Unternehmer Bernard Tapie als frühere Wirtschafts- und Finanzministerin ihres Landes begünstigt zu haben.
Wenn Lagarde weiteres Ungemach erspart bleibt, ist sie in der Lage, sogar die erste Staatspräsidentin Frankreichs zu werden. Lagarde hat das, was vielen Politikern abgeht: Ecken und Kanten – das Ganze aber eingebettet in Charme, wie die Jahrestagung von IWF und Weltbank wiederum gezeigt hat.
Die Vegetarierin, Antialkoholikerin und frühere Synchronschwimmerin liebt heute provokante Solonummern. So stieß sie Schäuble mit der Forderung vor den Kopf, man sollte Griechenland zwei Jahre mehr Zeit zum Schuldenabbau gewähren, was sinnvoll erscheint, erstickt das Land doch derzeit unter dem zwar notwendigen, aber brutalen Konsolidierungskurs.
Ein Staat, der nur spart, kann das Wachstum kaum ankurbeln. „Madame Global“, wie die weltweit vernetzte Lagarde treffend beschrieben wäre, zeigt Herz und hebt sich wohltuend von früheren IWF-Chefs ab, die den Ruf der Welt-Finanzpolizei als doktrinäre neoliberale Vereinigung begründet haben.
Die erste Frau an der Spitze des Währungsfonds verleiht der Organisation ein humaneres Gesicht.
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