Siegelflut im Supermarkt
Wer wirklich wissen will, was er kauft, muss sich Zeit nehmen, sich zu informieren. Vor Pferdefleisch, das falsch deklariert ist, kann aber auch ein Siegel nur bedingt schützen.
Wer in dieser Woche schon im Supermarkt war, stand vor einer harten Entscheidung. Joghurt mit Bio-Siegel? Das Modell „DLG prämiert“? Oder doch die Packung, auf der das „QS“-Logo prangt? 80 Prozent der Deutschen halten Lebensmittel-Siegel für eine nützliche Sache. Und ebenso viele vertrauen beim Einkauf darauf – in der Hoffnung, sichere, gesunde oder nachhaltig erzeugte Lebensmittel zu kaufen. Aber wer kann schon nachvollziehen, welches Siegel wofür steht?
Dass nicht einmal die Hälfte der Kunden weiß, was die Logos aussagen, verwundert kaum. Der Markt ist in den vergangenen Jahren von Siegeln überschwemmt worden. Inzwischen gibt es über 30 Bio-Siegel, mehrere Dutzend für Fleisch. Insgesamt sind es mehr als 1000 Zeichen. Kein Wunder, dass viele Kunden damit überfordert sind. Vor lauter Siegeln wissen sie nicht mehr, welchem sie vertrauen sollen. Die Konsumenten können kaum unterscheiden, wo verlässliche Kriterien dahinterstecken und welcher Aufdruck ein bloßer Werbetrick ist. Längst sind die Verbraucher desillusioniert: Sie nutzen die Etiketten zwar als Entscheidungshilfe, im Kern misstrauen sie dem Großteil davon aber. Studien belegen, dass 80 Prozent der Verbraucher nicht an die Versprechen glauben.
Nach den Lebensmittelskandalen der vergangenen Jahre, nach Gammelfleisch, Dioxin, Ehec und den jüngsten Meldungen über Pferdefleisch, das – etikettiert als Rinderhack – in Tiefkühl-Lasagne gelandet ist, fühlen sich viele Konsumenten getäuscht, hilflos, betrogen. Mehr denn je sind sie daher auf der Suche nach Orientierung beim Einkauf, nach Sicherheit und Transparenz. Das erklärt zum einen, warum Lebensmittel aus der Region eine Renaissance erleben. Und das trägt zum anderen dazu bei, den Wust an Logos, Medaillen und Etiketten weiter zu erhöhen. Der Handel hat erkannt, dass so mancher bereit ist, für diese Produkte mehr zu bezahlen. Eigenmarken sind entstanden. Doch nur weil auf der Verpackung „Aus der Heimat“ steht, muss das nicht heißen, dass die Bestandteile aus der Region stammen oder es hier verarbeitet wurde. Genauso wenig bedeutet „Frisch vom Land“ automatisch bio. Und wenn mittlerweile auch Starköche Produkte auszeichnen, klingt das eher nach Geldmacherei als nach Hilfe beim Einkauf.
Politik und Verbände sind zwar bemüht, den Kennzeichnungsdschungel zu lüften. Letztlich verstärken sie das Problem aber – mit immer neuen Siegeln. Allein im Januar kamen zwei Tierschutz-Label auf den Markt, die Auskunft über Haltung und Schlachtung geben sollen. Verunsicherte Verbraucher benötigen aber nicht noch mehr Logos, sondern wenige, die verlässlich sind. Der Markt braucht mehr Information, etwa darüber, wo die Hauptzutaten eines Produkts herkommen. Es ist an der Zeit, den Wildwuchs im Supermarkt zu beseitigen und verlässliche Leitsiegel zu etablieren. Als Vorbild kann das Bio-Siegel dienen. Es ist EU-weit einheitlich, bei fast allen Kunden bekannt und genießt hohes Vertrauen.
Wer wirklich wissen will, was er kauft, muss sich mehr Zeit nehmen als die eine Sekunde, die der durchschnittliche Konsument für seine Kaufentscheidung aufwendet. Er sollte sich die Mühe machen, sich vor dem Einkauf zu informieren – darüber, welches Siegel seinen Wünschen am nächsten kommt, wie hoch die Anforderungen an die Erzeuger sind und wie aufwendig kontrolliert wird. Der Rest ist, wie so oft, Vertrauenssache. Vollkommene Transparenz kann es nicht geben. Vor Pferdefleisch, das falsch deklariert in deutschen Tiefkühltheken gelandet ist, kann auch ein Siegel nur bedingt schützen.
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