Wo bleibt die Aktienkultur?
Deutschland ist eine Kulturnation. Ob es um klassische Orchester, Theater, Museen oder Denkmalschutz geht, wir sind Weltklasse. Gleiches gilt für die Industriekultur, die auf dem Mut global agierender Unternehmer sowie dem Können von Ingenieuren und Facharbeitern fußt. Doch wie steht es um die Aktienkultur?
Im Vergleich zu angelsächsischen Nationen ist Deutschland hier nur ein Entwicklungsland. Dabei hätten in den 90er Jahren gute Chancen bestanden, im Zuge der Privatisierung von Konzernen wie der Deutschen Bundespost zum Land zufriedener Aktienbürger aufzusteigen. Das Jahr der Börsen-Einschulung Deutschlands missglückte gründlich. In der Schultüte steckte zu viel Gier und Unprofessionalität. Die T-Aktie wurde 1996 mit 28,50 D-Mark mit falschen Versprechungen ausgegeben. Weitere Tranchen für happige 39,50 Euro und maßlose 66,50 Euro markierten den Börsensündenfall der Nation. Aus der Volksaktie wurde ein Albtraumpapier.
Viele Bürger ließen sich zu allem Überfluss von Hochstaplern am Neuen Markt verführen, obwohl deren Klitschen oft mehr Verlust als Umsatz machten. In einem psychologisch interessanten kollektiven Verdrängungsprozess redeten sich Anleger die Lage schön und berauschten sich an anfänglich ins Uferlose steigenden Kursen. Umso schmerzlicher wirkte sich der Zusammenbruch des Lügengebäudes von EM.TV & Co aus.
Noch gab es Chancen für das Entstehen einer Aktienkultur, wenn nicht 2008 das US-Investmenthaus Lehman kollabiert wäre. Deutsche Rentner waren unter den Opfern, weil sie ihr Erspartes auf Anraten dreister Berater in Lehman-Zertifikate gesteckt hatten. Diese dritte Schockwelle machte das Entstehen einer Aktienkultur zu einem fast aussichtslosen Unterfangen.
Im Gegenzug beteiligten sich ausländische Investoren in hohem Maße an unseren Aktiengesellschaften. Die 30 großen Konzerne des Deutschen Aktienindex Dax befinden sich nach Berechnungen des Handelsblatts zu rund 53 Prozent in den Händen internationaler Anteilseigner. Im Umkehrschluss heißt das: An der zuletzt exzellenten Entwicklung der meisten Dax-Konzerne haben mehr Briten und Amerikaner als Deutsche verdient. Was für ein Trauerspiel!
In der Krise setzen dennoch zunehmend heimische Bürger neben Immobilien und Gold auf Aktien. Daraus jedoch zu folgern, sie hätten die starke Liebe aus den späten 90er Jahren zu dem Wertpapier wiederentdeckt, ist falsch. Die meisten Anleger parken lediglich aus rationalen Motiven einen Teil ihres Geldes vor allem in Aktienfonds, auch weil sie von der guten Dividendenrendite angelockt werden. Viele scheuen allerdings davor zurück, sich einzelne Werte zu kaufen.
Und sollte die Schuldenkrise an Dramatik verlieren und Festgeld wieder höhere Zinsen bringen, sinkt sicher der Aktienanteil in den Depots. Dabei kann ein Investor – historisch betrachtet – gutes Geld verdienen, wenn er beim Donnern der Kanonen Aktien kauft und sie abstößt, sobald die Geigen spielen.
Um die Deutschen zu einem Volk von Aktionären zu erziehen, wären großzügigere steuerliche Freibeträge notwendig. Und Union und FDP müssten eine Fehlentscheidung der Vorgänger-Koalition revidieren, welche übereifrig die Möglichkeit strich, steuerfrei Gewinne aus dem Verkauf eines Wertpapiers einzustreichen, wenn man es mindestens ein Jahr hält. Solche Reformen sind derzeit aber utopisch. Nach diversen Sündenfällen wird die Aktienanlage gegenüber dem Immobilienbesitz dämonisiert, dabei stellt sie die Möglichkeit dar, an der Leistungskraft erfolgreicher Konzerne teilzuhaben und sein Vermögen zu vermehren.
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