Nazi-Terror: Wie Filmemacher Leo Hiemer im Allgäu nach Spuren sucht
Leo Hiemer beschäftigt sich schon lange mit der NS-Zeit im Allgäu. Nun hat er „3 Filme gegen Rechts“ zusammengefasst und zeigt sie in den Kinos der Region.
Die Hetzer sind wieder da, die Rassisten, Nationalisten, Antisemiten. Und es gibt im Deutschland des Jahres 2024 eine Partei in den Parlamenten, die in Teilen als rechtextremistisch eingestuft wird. Sie zu wählen können sich derzeit rund ein Fünftel der Wahlberechtigten vorstellen. Also nichts gelernt aus der unseligen Zeit zwischen 1933 und 1945, als die Nazis eine Demokratie zerstörten, eine Diktatur errichteten und nicht nur Juden verfolgten und töteten, sondern auch all jene, die sich dem Regime mutig entgegenstellten?
Leo Hiemer ist nicht so skeptisch. Der aus dem Westallgäu stammende und in Kaufbeuren lebende Filmemacher glaubt daran, dass der Blick auf die Geschichte Erkenntnisse liefern kann, wenngleich ihm die rechtspopulistischen und rechtsextremen Tendenzen in der Gesellschaft große Sorgen bereiten. „Wir sollten aus dem Desaster, das die Ein-Parteien-Diktatur unter ihrem Führer Adolf Hitler mit ihrer völkischen und rassistischen Ideologie angerichtet hat, lernen“, sagt der 69-Jährige. Er hat als Drehbuchautor und Regisseur ebenso Beiträge geleistet wie als Historiker und Theaterautor. 2022 erhielt er dafür den Bayerischen Verfassungsorden.
In den vergangenen Jahren hat Hiemer drei Filme gedreht, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der Nazi-Zeit befassen: mit Tätern und Opfern, mit Verfolgung und Denunziation, mit der sogenannten Euthanasie und dem System der Zwangsarbeit. Einer ist gar ganz neu und dreht sich um die Haftzelle in Landsberg, wo Hitler 1923/24 einsaß, bevor er seine Schreckensherrschaft errichtete. An diesem Sonntag um 11 Uhr wird der Kurzfilm, der im Kemptener Theater mit einer nachgebauten Zelle und dem großartigen Ernst Konarek in der Rolle des Gefängnis–Wärters entstand, im Olympia-Filmtheater Landsberg vorgestellt.
Die Nazis fanden auch in Allgäuer Städten und Dörfern willige Helfer
„Hitler in Landsberg“ ist der dritte der „3 Filme gegen Rechts“, die Hiemer zusammengespannt hat und eine Gesamtlänge von 90 Minuten ergeben. In den nächsten Wochen zeigt er sie in Allgäu-Schwäbischen Kinos. Er will das Lernen aus der Geschichte befördern. Der eifrige Spurensucher möchte vor allem demonstrieren, wie die Nazis auch in Allgäuer Städten und Dörfern willige Helfer für die Umsetzung ihre Ideologie fanden. Und dabei das Leben vieler Menschen zerstörten. Offenbar ist sein multimedialer Nachhilfeunterricht auch – oder gerade – 80 Jahre später immer noch nötig. Wenn er seine Filme zeige, sagten Leute danach oft: Das habe ich nicht gewusst.
Noch leben Zeugen jenes Terrors. Etwa Wally Koch. Als Zehnjährige musste sie erleben, wie in Oberthingau (Ostallgäu), wo sie aufwuchs, Nachbarn ihre Eltern denunzierten, weil sie ein Bild von Hitler verkehrt herum aufgehängt hatten. Wallys Mutter wurde verhaftet und ins Gefängnis von Kaufbeuren gebracht. Dort starb sie 1944 – offenbar an Verletzungen, die man ihr zugefügt hatte. Die Nazis stellten den Tod aber als Suizid hin. Im ersten der drei Hiemer-Filme schildert Wally Koch diese schrecklichen Ereignisse. Ihre Verzweiflung und ihr Zorn ist heute noch zu spüren. Entrüstet bringt sie die AfD mit dem Nazi-Regime in Verbindung.
Das jüdischstämmige Mädchen Gabi Schwarz wurde im Westallgäu versteckt - und dann in Auschwitz ermordet
Produziert hat Hiemer das zwölfminütige Zeitzeugen-Interview für die Ausstellung „Geliebte Gabi“, die inzwischen auch im Bayerischen Landtag gezeigt worden ist. Gabi Schwarz war jüdischer Herkunft. Geboren wurde sie 1937 in Marktoberdorf, aufgewachsen ist sie – vor den Nazis versteckt – im Westallgäuer Stiefenhofen. Dann geriet Gabi doch in die NS-Vernichtungsmaschinerie, die bis in die Dörfer hinein unerbittlich lief. Das Mädchen wurde ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Auch verzweifelte Versuche von Westallgäuern, sie dort wieder herauszuholen, fruchteten nichts: Gabi wurde ermordet. Sie wurde nicht einmal sechs Jahre alt.
Schon im Jahr 1993 hat Hiemer diese Tragödie im Spielfilm „Leni ... muss fort“ erzählt. 2019 veröffentlichte er ein Buch darüber. Und in einem ergreifenden Theaterstück für das Kemptener Theater beschreibt er die ebenso verzweifelten wie vergeblichen Versuche von Gabis Mutter, sich und ihre Tochter vor den Nazis zu retten. „Die Jüdin und der Kardinal“ wird in diesen Wochen erneut in Kempten aufgeführt, demnächst ist das Doku-Drama am Staatstheater Augsburg zu sehen.
Um Gabi und andere Allgäuer Kinder, die Opfer der Nazi-Barbarei wurden, dreht sich der zentrale Film der „3 Filme gegen Rechts“ (wobei Hiemer einräumt, dass das Wort „Rechts“ eine pauschalisierende Verkürzung ist). „Kann Spuren von Nazis enthalten“ entstand vor einigen Jahren für die Ausstellung „vervolkt“ im Memminger Stadtmuseum. Auch hier erweist sich Hiemer als akribischer Spurensucher mit starkem Aufklärungswillen. Er zeigt historische Fotos und Dokumente, lässt Experten zu Wort kommen. Und bittet Persönlichkeiten wie den damaligen Memminger Oberbürgermeister Manfred Schilder um Kommentierung. Der CSU-Mann erklärt denn auch, dass ihn rechte Tendenzen befremden und er ein „Dagegenhalten!“ für nötig halte. „Wir müssen uns zur Wehr setzen, um die freiheitliche Gesellschaft nicht in Gefahr zu bringen.“
Hier zeigt Leo Hiemer seine "3 Filme gegen Rechts":
- Bad Wörishofen Filmhaus: 4. April, 20 Uhr
- Lindenberg/Westallgäu Neues Krone Kino: 5. April, 20 Uhr
- Leutkirch Central-Theater: 6. und 7. April, jeweils 20 Uhr
- Türkheim Filmhaus: 7. April, 10.30 Uhr
- Kempten Colosseum Center: 7. April, 11 Uhr
- Isny Ringtheater: 20. April, 20 Uhr
- Memmingen Kaminwerk: 2. Mai, 20 Uhr
- Lindau Parktheater: 4. Mai, 20 Uhr
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