Sie bleiben, wenn alle anderen gehen
Das Team des Ingolstädter Kriseninterventionsdienstes hatte im vergangenen Jahr 128 Einsätze. Einer ist Leiterin Rosemarie Braunhardt besonders in Erinnerung geblieben
Eine laue Sommernacht. 02.30 Uhr. Der 19-jährige Robert und drei Freunde waren auf dem Heimweg einer Fete, als das Auto in einer Kurve ins Schleudern kam und gegen einen Baum kracht. Robert ist auf der Stelle tot. Seine Eltern wissen noch nichts von dem tragischen Unfall.
Einige Kilometer entfernt reißt das Einsatzhandy die Fachdienstleiterin des Ingolstädter Kriseninterventionsdienstes (KID), Rosemarie Braunhardt, aus dem Schlaf. Sie soll bei der Überbringung der Todesnachricht dabei sein und den Angehörigen helfen mit dieser schrecklichen Information umzugehen. „Wir standen mitten in der Nacht vor dem Einfamilienhaus. Der Polizist läutete. Der Vater öffnete die Tür und wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Der Polizist erzählte von dem Unfall und, dass sein Sohn ihn nicht überlebt hatte. Es war ungewöhnlich still im Raum. Plötzlich stand der Vater auf und hämmerte mit den Fäusten gegen die Wand und schrie...,“ erinnert sich Braunhardt an einen der eindrucksvollsten Einsätze ihrer langen Zeit beim KID.
Während der Polizist froh ist, gehen zu können, bleiben Braunhardt und ihr Team. Angst, Trauer, Aggression, Panik – die Gefühle in dem Wohnhaus wechseln im Sekundentakt. Die Mitarbeiter des KID betreuen Roberts Eltern und Schwester sowie Freunde, die sich spontan vor dem Haus versammelt haben. Braunhardt begleitet Roberts Eltern zum Bestatter. „Auch mir standen da Tränen in den Augen,“ erinnert sich Braunhardt. Der Einsatz dauerte insgesamt sechs Stunden.
Doch trotz dieser schlimmen Erlebnisse bereut es Braunhardt nie, zum KID gegangen zu sein. Genauso wenig wie Marion Gutzmann und Ingrid Vetter, beide seit vielen Jahren KID-Mitglieder. Gutzmann und Vetter gehen einer normalen Arbeit bei Audi nach, haben Familie. „Es ist unglaublich wichtig, dass der eigene Partner dahintersteht. Sonst funktioniert es nicht. Wir haben großes Glück, dass auch unser Chef unser Engagement fördert und unterstützt,“ so Vetter.
Trotz umfangreicher Schulungen ist im Grunde genommen jeder Einsatz für das erfahrene Team eine enorme psychische Belastung. „Ein Einsatz dauert im Schnitt zweieinhalb Stunden, es können aber auch einmal acht Stunden sein. Wir sind für die Menschen in den schlimmsten Stunden ihres Lebens da,“ sagt Gutzmann.
„Man darf sich das nicht leicht vorstellen. Es ist eine sehr schwierige Arbeit,“ betont Braunhardt. Und fügt hinzu: „Ich war bei über 1000 Einsätzen dabei. Was man da alles erlebt, kann man nicht einfach wegstecken.“
Zur Verarbeitung des Erlebten, wird viel miteinander gesprochen: „Wir gehen nach dem Einsatz nicht sofort auseinander, sondern unterhalten uns, reden auch über Kleinigkeiten,“ so Vetter. „Es ist nicht immer einfach, die Hinterbliebenen zurückzulassen, wenn man geht. Man trägt das Paket ein Stück weit mit,“ ergänzt Gutzmann.
Besonders schlimm wird es, wenn die KID-Mitglieder an die eigene Familie erinnert werden: „Aber wir müssen uns klar machen, dass es nicht unser Schicksal ist. Das ist nicht immer einfach. Aber man lernt, damit umzugehen. Es ist ein gutes Gefühl, wenn sich die Angehörigen bei uns bedanken,“ erklärt Braunhardt. Wenn alle gehen, sind es die Mitglieder des Kriseninterventionsdienstes, die bleiben.
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