Schreiben für das ewige Kind im Menschen
Eine große Liebeserklärung an die Kindheit, das sind die Bücher von Astrid Lindgren. Damit wurde sie zur erfolgreichsten Kinderbuchautorin der Welt. Am 14. November wäre die Schwedin 100 Jahre alt geworden.
Von Birgit Müller-Bardorff
"Ich schreibe für niemanden anders als für mich selbst, ich schreibe, weil es solchen Spaß macht und weil ich das Kind, das ich einmal war, unterhalten will." Diese Art der Selbstunterhaltung brachte Astrid Lindgren mittlerweile drei Generationen von Lesern auf der ganzen Welt ein, machte sie zur berühmtesten Kinderbuchautorin der Welt.
Meist sehr früh am Morgen, nach einer Tasse Tee und einem Marmeladenbrot, schrieb Lindgren auf dem Bett liegend mit einem weichen Bleistift auf einen Stenoblock die wunderbaren Geschichten von Pippi Langstrumpf (1946), Wir Kinder aus Bullerbü (1954), Karlsson auf dem Dach (1956), Michel in der Suppenschüssel (1964) oder Ronja Räubertochter (1982).
Insgesamt verfasste sie bis zu ihrem Tod am 28. Januar 2002 über 100 Romane, Kurzgeschichten, Drehbücher, Gedichte, Liederbücher und Theaterstücke. In einer schnörkellosen, klaren und zeitlosen Sprache verstand sie es vor allem, die Erlebnisse und Gefühle von Kindern darzustellen, ein Urbild von einer glücklichen Kindheit zu schaffen, die voller Spiele, Abenteuer, Freundschaft, und dabei doch weit entfernt ist von einer verharmlosenden Idylle.
Denn auch Trauer, Tod, Schrecken, Gewalt und soziale Missstände fanden in ihrem Werk einen angemessenen Platz. Wichtig war der Autorin allerdings, immer ein gutes, ein versöhnliches Ende herbeizuführen, damit die Kinder nicht trostlos bleiben, wie Lindgren sich einmal gegen den Vorwurf der Heile-Welt-Geschichten verteidigte.
Der Boden für den Stoff ihrer Bücher war Astrid Lindgrens Kindheit auf dem Gut Näs nahe des südschwedischen Dorfes Vimmerby, eine Kindheit, die von Geborgenheit und Freiheit geprägt war. Der Geborgenheit von Eltern, die trotz der Bewirtschaftung Zeit für die vier Geschwister hatten, die sie mit zur Arbeit heranzogen und ihnen dabei das Gefühl für Pflichterfüllung vermittelten, die sie aber auch frei und unbeschwert ihre Neugier, Entdeckungs- und Spiellust ausleben ließen. "Wir kletterten wie die Affen auf Bäume und Dächer, wir sprangen von Bretterstapeln und Heuhaufen, dass unsere Eingeweide nur so wimmerten, wir krochen quer durch riesige Sägemehlhaufen, lebensgefährliche, unterirdische Gänge entlang, und wir schwammen im Fluss, lange bevor wir überhaupt schwimmen konnten."
Umso trauriger war Astrid Lindgren mit 13 Jahren, als sie auf einmal bemerkte, dass diese Kinderspiele keinen Spaß mehr machten. Vielleicht erlebte sie Jahre später in ihren Büchern mit Pippi, Annika und Thomas, Britta, Lasse, Bosse und Lisa jene Spielfreude wieder.
Ein abruptes Ende fand die behütete und unbeschwerte Jugend, als Astrid Lindgren mit 18 Jahren schwanger wurde vom Chefredakteur der Heimatzeitung, bei der sie als Volontärin arbeitete. Trotz des Skandals, den sie in Vimmerby verursachte, entschloss sich Astrid, den Vater ihres Kindes nicht zu heiraten, ging nach Stockholm und nahm eine Stelle als Sekretärin an.
Ihren Sohn Lasse, der seine ersten Lebensjahre bei Pflegeeltern verbrachte, nahm sie trotz beengter Verhältnisse zu sich. 1931 heiratete sie Sture Lindgren, drei Jahre später wurde Tochter Karin geboren. Astrid gab ihren Beruf auf, denn sie vertrat die Ansicht, wenn Kinder klein sind, muss entweder der Vater oder die Mutter zu Hause sein.
Wer diese Äußerung in den Zusammenhang mit heutigen Debatten über Kinderkrippen setzt, könnte leicht ein falsches Bild von der schwedischen Schriftstellerin bekommen, die zeit ihres Lebens eine Frau war, die unabhängig von gesellschaftlichen Normen und Konventionen ihre Entscheidungen traf. Die engagierte Sozialdemokratin setzte sich gegen maßlose Steuergesetze in ihrem Land ein und für den Tier- und Umweltschutz, ebenso trat sie gegen Atomkraft auf.
Vor allem aber lagen ihr die Rechte und das Wohl der Kinder am Herzen. Anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1978 hielt sie eine Rede, in der sie jegliche Gewalt gegen Kinder anprangerte: "Ob ein Kind zu einem warmherzigen Menschen mit Sinn für das Gemeinwohl heranwächst oder aber zu einem gefühlskalten, egoistischen Menschen, das entscheiden die, denen das Kind in dieser Welt anvertraut ist." Sie selbst gab mit ihrer unbeschwerten Kindheit und ihren Büchern, in denen Kindern der Raum zu einem glücklichen Leben gegeben wird, ein eindrucksvolles, positives Beispiel.
Die Diskussion ist geschlossen.