Wie Stefan Raab das Fernsehen verändert hat
Vor 20 Jahren schaffte Stefan Raab mit "TV Total" den Durchbruch. Mittlerweile steht er nur noch hinter der Kamera. Dort läuft es nicht ganz so gut.
Markante Kauleiste, das Hemd lässig über der Hose, selbstbewusst bis in die Haarspitzen: So schlenderte Stefan Raab am 8. März 1999 auf die Bühne und moderierte die erste Ausgabe seiner Late-Night-Show „TV total“ bei ProSieben. In den beiden folgenden Jahrzehnten krempelte der multimediale Entertainer die deutsche Fernsehlandschaft um – und legte dann einen spektakulären Abgang hin: Völlig überraschend machte der Kölner 2015 mit „TV total“ Schluss und zog sich vollständig vom Bildschirm zurück.
Seitdem ist das heute 52 Jahre alte Kreativgenie der bekannteste Fernsehrentner der Nation. Ein Ersatz ist nicht in Sicht: Joko und Klaas konnten die Lücke mit ihrem inzwischen eingestellten „Circus Halligalli“ nicht füllen, und Steffen Henssler ist mit seiner Nachfolgeshow für „Schlag den Raab“ kläglich gescheitert.
Raab hatte sich vor seinem Wechsel zu ProSieben 1999 als Rüpelmoderator beim Musiksender Viva einen Namen gemacht – als künftige Lichtgestalt des Fernsehens hatte ihn wohl niemand auf der Rechnung. In „TV total“ zog der gelernte Metzger rotzfrech das Fernsehprogramm durch den Kakao – einer der ersten Raab-Gags drehte sich um Schweißflecken auf dem Hemd des damaligen Talkmasters Andreas Türck.
Zu Raabs Sendungen gehörten Pokerturniere und der Bundesvision Song Contest
Der Entertainer erfand Späße wie die „Pfuikelle“ oder den „Pulleralarm“, ließ sich beim Faustkampf von der damaligen Boxweltmeisterin Regina Halmich die Nase brechen, führte Rubriken wie „Raab in Gefahr“ ein und klampfte auf der Ukulele. Ein Hochamt der Albernheiten, das rückblickend betrachtet wie das i-Tüpfelchen auf die Spaßkultur vor den Terroranschlägen von 2001 wirkt, mit sensationellen Marktanteilen bei den 14- bis 29-Jährigen.
Der Zuschauerschwund setzte bei dieser Wundertüte des kindischen Humors zwar schon recht früh ein. Doch da war Raab längst zum Gesicht des Senders geworden, dessen Identität er signifikant mitprägte, und dachte sich unzählige populäre Showspektakel aus, mit denen er der Samstagabendunterhaltung neues Leben einhauchte – von Pokerturnier über Bundesvision Song Contest, Turmspringen, Wok-WM bis zu „Schlag den Raab“. Ein echter Tausendsassa.
„Der hat die Zuschauer immer wieder neu abgeholt und dabei weit über die Grenzen einer einzelnen Fernsehsendung hinaus gedacht. So was findet heute nicht mehr statt“, sagt Björn Krass, Lehrbeauftragter für Journalismus an der Hochschule der populären Künste in Berlin.
Der Rest des Unterhaltungsfernsehens, vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender, sah da ziemlich alt aus. Kein Wunder, dass sich selbst die altehrwürdige ARD irgendwann dem Spaß-Genie anvertraute und ihn den Vorentscheid zum „Eurovision Song Contests“ reformieren ließ. Prompt sorgte Raab, der 2000 als Teilnehmer selber einen hervorragenden fünften Platz belegt hatte, dafür, dass Lena Meyer-Landrut beim ESC in Oslo 2010 siegte. 2013 durfte Raab sogar das Kanzlerduell mitmoderieren – der endgültige Ritterschlag. „Das Lustigste in meiner Karriere“, nannte er das später.
Wen scherte es da noch, dass der Humor des „King of Kotelett“ bisweilen rücksichtslos war? So verglich Stefan Raab die Ehefrau von Schlagerstar Heino mit Eva Braun, verhöhnte die Schülerin Lisa Loch wegen ihres Namens und machte die sächsische Hausfrau Regina Zindler zum Gespött, als er ihren Nachbarschaftszwist um den legendären Maschendrahtzaun vertonte.
Immer wieder handelte sich der bekannte Entertainer, der einst am Jesuitenkolleg in Bonn-Bad Godesberg sein Abitur gemacht hatte, juristischen Ärger ein. Er selber sagte einmal über sich: „Anders als viele glauben, bin ich durchaus ein geselliger und freundlicher Mensch, da wird oft ein falsches Bild gezeichnet. Aber ich habe schon immer polarisiert.“
Den fröhlichen Kindskopf nahm Raab am Ende seiner Bildschirm-Karriere allerdings niemand mehr ab. „TV total“ war nach Meinung vieler Beobachter zur Werbeplattform verkommen, der Entertainer, der mit seiner eigenen Firma auch an der Produktion der Show beteiligt war, wirkte zunehmend unmotiviert. Am 16. Dezember 2015 war dann Schluss mit lustig, die 2303. Folge der Late-Night-Comedyshow war die letzte – kurz darauf beendete Raab seine komplette Fernsehkarriere. Bei ProSieben klafft seit seinem Abschied eine Lücke: zur früheren „TV total“-Sendezeit laufen jetzt Filme, Serien und andere Formate.
Bei ProSieben laufen noch Sendungen von Stefan Raab
Für das lineare Fernsehen sei Raabs Rücktritt ein schwerer Schlag gewesen, weil er mit seinen großen Shows als einer der letzten noch großes Eventfernsehen geboten habe, glaubt der Berliner Medienexperte Hendrik Efert: „Wenn sich lineares Fernsehen gegenüber Streamingdiensten behaupten will, muss es Sendungen anbieten, die man zum Zeitpunkt der Ausstrahlung schaut, sodass man am nächsten Tag drüber reden kann. Und so was schafft man eben mit Events, die Raab gemacht hat.“
Dessen Abgang ist nach Eferts Ansicht der Abgang einer ganzen Generation von Moderatoren. Nun seien Leute wie Jan Böhmermann am Drücker, die anders als Raab die Mechanismen des Internets durchschauen und souverän mit dessen Möglichkeiten spielen. „Raab hat das Internet nie so richtig verstanden, wollte er auch nicht, musste er auch nicht“, so Efert.
Hinter der Kamera ist Raab zwar durchaus noch aktiv, so läuft bei ProSieben gerade die zweite Staffel der von ihm erdachten Erfindershow „Das Ding des Jahres“ – doch die ist beim Publikum nur mäßig populär. Raab produziert außerdem die Sportshow „Headis-WM“ (eine Art Tischtennis-Kopfball) am 23.3. bei ProSieben.
Seine Bildschirmabstinenz hat der 52-Jährige bislang aber durchgehalten und in der Öffentlichkeit taucht er nur selten auf: Neulich sang der einstige Überflieger als Überraschungsgast bei einem Max Mutzke-Konzert seinen ESC-Hit „Wadde hadde dudde da“ und vorigen Herbst präsentierte er eine Bühnenshow in Köln, wo er heute auch mit seiner Lebensgefährtin und den zwei Töchtern lebt. Der Auftritt stieß bei der Kritik aber auf wenig Gegenliebe.
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