Eine alte Karte einer neuen Welt
Die Waldseemüller-Karte gilt als Geburtsurkunde Amerikas. Weltweit waren bisher nur noch vier Exemplare bekannt. In München entdeckten Forscher nun ein fünftes
Mit der Karte ist nichts nach Plan gelaufen. Schon bei ihrer Entstehung kam es zu einem großen Irrtum, und dass sie jetzt gefunden wurde, ist reiner Zufall. Vor ein paar Tagen, mehr als 500 Jahre, nachdem sie gedruckt wurde, hat eine Bibliothekarin sie entdeckt: eine bisher unbekannte Variante der Weltkarte des Freiburger Kartografen Martin Waldseemüller.
Das Stück war aus Versehen beim Einbinden zwischen zwei uralte Geometrie-Bücher geraten. So überstand es, unbemerkt, irgendwo in den Regalen der Bibliothek der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, die Jahrzehnte. Die Waldseemüller-Karte, ein Holzdruck, gilt als Geburtsurkunde Amerikas – weil sie dem damals neu entdeckten Kontinent seinen Namen gab.
Fünf Weltkarten, davon vier Exemplare als Bausatz, der sich zu einem Globus formen lässt, waren bisher bekannt. 1507, ein Jahr nach dem Tod von Christoph Kolumbus, hat Waldseemüller sie geschaffen. Er stellte darauf die damals bekannte Welt dar. Und er beging dabei einen folgenschweren Fehler: „America“ nannte Waldseemüller den Kontinent, den Kolumbus zwar vor Amerigo Vespucci beschritten, aber für Indien gehalten hatte.
Die neue Welt
In Briefen an die spanische Königin hatte Kolumbus von dem neuen Seeweg nach Asien berichtet – anders als Vespucci, der zwar später landete, aber von „Mundus Novus“ schrieb, der „neuen Welt“. Zudem berichtete Vespucci von den Abenteuern, die er auf seiner Reise erlebt hatte – und schrieb spannende Geschichten über wilde Tiere, exotische Früchte und sinnliche Frauen.
Weil das so schön zu lesen war, wurden seine Erzählungen als Buch gedruckt und in mehrere Sprachen übersetzt. „Die neue Welt“ lautete der Titel, im Italienischen „Mondo Novo“ von Amerigo Vespucci eben, und so muss es zu dem Missverständnis gekommen sein. Dass das „von“ sich auf die Autorenschaft bezog und nicht auf den Anspruch, der erste Entdecker zu sein, ging wohl irgendwo zwischen Schreiber und Leser verloren.
Kalkutta wurde verschoben, Madagaskar ist geschrumpft
„Ich wüsste nicht, warum jemand mit Recht etwas dagegen sagen könnte, diesen Erdteil nach seinem Entdecker Americus zu nennen“, soll Waldseemüller später gesagt haben. Was wohl erklärt, warum er – und so die Menschheit nach ihm – auch auf der jetzt neu entdeckten Karte bei „America“ blieb.
Um 1518, also gut zehn Jahre nach den ersten Drucken, soll die jetzt gefundene Globussegment-Weltkarte entstanden sein. Sie ist, im Vergleich zu ihren vier identischen Vorgängern, etwas verändert: Das indische Calicut, Kalkutta, ist vom vierten ins fünfte Kartensegment verschoben. Madagaskar ist 1518 kleiner dargestellt als 1507.
Wertvoller Fund
„Das könnte unsere Erkenntnisse über das Weltbild der Menschen im 16. Jahrhundert verändern“, sagt Bibliotheks-Direktor Klaus-Rainer Brintzinger. Deshalb handele es sich um einen „sehr wertvollen“ Fund.
Der lässt sich auch finanziell beziffern: Für eine Million Dollar wurde 2005 eines der vier bisher bekannten Exemplare des Bausatzes versteigert. Die anderen drei befinden sich in Minneapolis, Offenburg und der Bayerischen Staatsbibliothek. Die noch erhaltene rechteckige Waldseemüller-Weltkarte, fast drei Quadratmeter groß, schenkte Bundeskanzlerin Angela Merkel 2007 den US-Amerikanern „als Zeichen der deutsch-amerikanischen Freundschaft“. Sie befindet sich seither in der Library of Congress in Washington.
Die jetzt gefundene Globensegment-Karte soll in der Ludwig-Maximilians-Universität bleiben. Heute, zur Feier des amerikanischen Unabhängigkeitstages, will die Uni sie in digitaler Form im Internet veröffentlichen.
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