Der Methusalem der leichten Muse
Johannes Heesters feiert Geburtstag - seinen 105. Der Methusalem der leichten Muse hört schlecht und muss beim Gehen gestützt werden. Dennoch schafft er es mühelos, den Gentleman aus dem 19. Jahrhundert zu geben - und macht manchmal einen verbalen Fehltritt. Von Ronald Hinzpeter
Von Ronald Hinzpeter
Augsburg - Manchmal fallen ihm die Strophenanfänge nicht mehr ein. Dann ruft Johannes Heesters kurz und ungeniert: "Text!" Sein Pianist flüstert ihm beinahe ehrfürchtig ein Stichwort zu und weiter geht die Show. So war das bei seinen letzten Auftritten - und so wird es wohl noch weitergehen.
Langsam beschleicht einen das Gefühl, "Jopie" Heesters steht wohl bis in alle Ewigkeit auf der Bühne und schmettert mit ungebrochen kräftiger Stimme elegante Lieder, die von Abenden im "Maxim" erzählen, von zarten Banden, vom Glanz der Frack-und-Zylinder-Epoche, als Herren Monokel trugen und Frauen sich aus der Kutsche helfen ließen.
Dabei wird Heesters heute 105 Jahre alt. Der Methusalem der leichten Muse hört schlecht, sieht kaum mehr etwas und muss beim Gehen gestützt werden. Dennoch schafft er es mühelos, den Gentleman aus dem 19. Jahrhundert zu geben, den Revuefilm-Charmeur, dem auch im 21. Jahrhundert die Frauen zujubeln, auch wenn diese selber nicht mehr ganz jung sind.
Johannes Heesters ist ein Mann der Vergangenheit - und die holt ihn gerade wieder ein. Der begabte Sänger und Schauspieler aus den Niederlanden hatte in Nazi-Deutschland einst eine steile Karriere hingelegt.
Er war der schöne Held zahlreicher Operetten- und Revuefilme und wurde während des Krieges in die Durchhalte-Propaganda eingespannt. Zuweilen musste er auch das Spiel der Nazis spielen.
So besuchte er zusammen mit dem Ensemble des Münchner Gärtnerplatztheaters auf Verlangen der SS 1941 das Konzentrationslager Dachau. Das hat Heesters nie bestritten. Er schäme sich "abgrundtief", sagte er später einmal, für diesen "von den Nazis vorgeschriebenen Besuch". Allerdings habe er dabei nicht auch noch vor den Wachmannschaften gesungen.
Das jedoch behauptet der Berliner Historiker Volker Kühn. Er beruft sich dabei auf einen bereits verstorbenen Zeitzeugen, der in einem Interview erzählte, er habe sogar für Heesters den Vorhang gezogen. Doch der Sänger beteuert, das sei nicht wahr.
Deshalb hat er vor dem Berliner Landgericht eine Unterlassungsklage eingereicht. Ob sich in diesem Fall die Wahrheit finden lässt, ist unwahrscheinlich, dennoch werden die Richter am 16. Oktober eine Entscheidung verkünden.
Wie sie auch ausfällt, sie ändert nichts mehr am Ruhm dieses Jahrhundert-Künstlers, der sich öffentlich stets aus der Politik rausgehalten hat und nicht der NSDAP angehörte. Im Nachkriegsdeutschland war seine Vergangenheit ohnehin kein Thema. Dort setzte er seine Karriere nahtlos fort.
Er gab weiter den leichtlebigen Grafen Danilo aus der "Lustigen Witwe", mit Nelke im Knopfloch, weißen Handschuhen und langem Seidenschal. Heesters blieb der elegante Künstler, der spielte und spielte und spielte.
Mittlerweile scheint zumindest ein Teil seiner niederländischen Landsleute ihren Frieden mit dem berühmten Sohn gemacht zu haben. 1968 hatten sie ihn noch mit der Parole "Heesters SS" fortgejagt.
Heuer jedoch trat er zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder in der Stadt Amersfoort auf, wo er am 5. Dezember 1903 als Johan Marius Nicolaas Heesters geboren worden war. Die Proteste blieben bescheiden, die 800 Besucher des Konzerts bejubelten jedes seiner Lieder.
Jetzt sorgt allerdings ein Interview für erneute Irritationen. Bei einem TV-Auftritt in Holland wurde Heesters gefragt, ob Hitler "ein netter Kerl" gewesen sei. Der greise Star antwortete laut Nachrichtenagentur ANP etwas wirr: "Adolf Hitler, ja Gott, ich kenn den Mann wenig. Ein Kerl, weißt du, das war er, ein guter Kerl."
Als seine Frau Simone Rethel bei der Interviewaufzeichnung erschrak, schob er nach: "Na ja, das war er nicht, aber zu mir war er nett." Niederländische Medien reagierten nach der Ausstrahlung am Donnerstag zurückhaltend, doch Heesters¿ Frau schäumt und meint, ihr Mann sei von dem Interviewer "hereingelegt" worden.
Daran sei auch das hohe Alter des Gatten schuld, denn er habe die "perfide Frage" nicht verstanden: "Er ist zurzeit praktisch nicht mehr in der Lage, seine Rolle zu spielen, und würde bei nochmaligen Bühnenschwierigkeiten aufhören müssen."
Heute Abend jedoch will er wieder auf den Brettern stehen. In Hamburg spielt er den Kaiser Franz Josef im Singspiel "Im weißen Rößl". Wie der Abend enden wird, lässt sich voraussehen: mit Jubel für den ältesten aktiven Schauspieler und Sänger der Welt.
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