In aller Ruhe durch den Alentejo
Der Alentejo umfasst ein Drittel der Fläche des Landes – doch nur rund sieben Prozent der Bevölkerung leben in der Region jenseits des Massentourismus. Eine Reise in die Stille.
Der Wagen wuchtet sich über staubige Hügel, Äste peitschen in die offenen Fenster, das Auto müht sich durch ein kleines Flussbett, immer weiter geht es bergauf. Ganz oben, auf einem Hügel im Korkeichenwald, liegt den Autoinsassen der Alentejo, ein grün-braunes Mosaik aus Wiesen, Feldern und Wäldern zu Füßen.
Ein Gefühl der Einsamkeit, Ruhe, Entschleunigung
Es duftet nach gemähtem Gras und wildem Thymian. Tausende Bäume sind zu sehen, die sich unter einem sommerblauen Himmel in die Luft recken. Stille. Zu hören ist nur der Wind, nur ein zartes Rauschen in den Korkeichen, und das träge Zirpen der Zikaden. Es ist diese Ruhe, die den Alentejo prägt.
Der Name dieser Region Portugals bedeutet so viel wie „jenseits des Tejo“, jenseits des Flusses also, der in Lissabon in den Atlantik mündet. Vor allem aber ist es ein Jenseits der Hektik, ein Gefühl der Einsamkeit, Ruhe, Entschleunigung. Inmitten dieser Einsamkeit lebt Luis Dias, ein kleiner, schlanker Mann mit lichtem, dunklem Haar und sonnengebräunter Haut. Er steht neben seinem Jeep auf dem Hügel im Wald und blickt hinunter auf die vielen tausend Bäume – die alle ihm gehören. Auf der Herdade das Barradas da Serra, einem Landgut in der Nähe von Grandola mit über 800 Hektar, baut er Korkeichen an, jene Bäume, die mit ihrem roten Stamm untrennbar mit dem Landschaftsbild des Alentejo verbunden sind.
„Der Korkanbau ist einer der wichtigsten Produktionszweige im Land und hat eine Jahrhunderte alte Tradition“, sagt Dias. Mehr als 50 Prozent der Kork-Weltproduktion kommen aus Portugal, ein Großteil aus dem Alentejo. Korken für Weinflaschen, Fußbodenbeläge, aber auch Taschen und sogar Kleidungsstücke werden aus dem Kork der Eichen gefertigt. Luis Dias streicht sanft über den Stamm. „Wenn ich einen Baum pflanze, kann ich ihn erst nach 25 Jahren ernten“, sagt er. Mit ernten meint er das Schälen des Stammes. Die tote Rinde wird entfernt und verarbeitet, zurück bleibt die neue, rote Rinde, die ein bisschen wie aufgepinselt aussieht, und die zehn Jahre später wieder vom Baum geschält werden kann.
Der Alentejo liegt im Süden Portugals und erstreckt sich von den Ufern des Tejo bis zur Algarve. Das riesige, spärlich besiedelte Gebiet macht etwa ein Drittel der Gesamtfläche Portugals aus – doch nur rund sieben Prozent der Bevölkerung leben dort. Noch ist der Alentejo ein touristischer Geheimtipp. Und obwohl sich die Region mehr Touristen wünscht, soll die Ruhe im Alentejo, der sich so sehr vom Massentourismus an der Algarve unterscheidet, bewahrt werden.
Auf der Rota Vicentina bis an die Algarve wandern
Die Ruhe und Einsamkeit der Region erlebt man auch auf der etwa 50 Kilometer langen Fahrt, die Luis Dias’ Korkeichenwald vom Meer trennt. 50 Kilometer, auf denen man nur wenigen Autos begegnet. Weizenfelder wechseln sich mit Sonnenblumenwiesen ab. Auf beinahe jedem Strommast nisten Störche, Kühe dösen faul auf Wiesen, die sich schier endlos bis zum Horizont ziehen. In Porto Covo, einem kleinen Fischerdorf, dessen weiße Häuschen sich an die Felsen über dem Atlantik schmiegen, beginnt eine Etappe der Rota Vicentina, einer Wanderroute, die über rund 350 Kilometer immer gen Süden bis zur Algarve führt.
Ein schmaler Sandweg schlängelt sich an den Klippen entlang. Einige Meter weiter unten donnern die Wellen des Atlantiks gegen den Fels. Auch hier begegnet sie uns – die Einsamkeit des Alentejo. In knapp vier Stunden, in denen es immer entlang der Küste geht, treffen wir niemanden. Man ist allein mit dem würzigen Duft von Strandnelken und Currypflanzen in der Nase und dem Tosen der Wellen im Ohr. Ab und an windet sich der Pfad durch Schilf, taucht dann einige Meter ab und führt durch kleine Buchten, dann wieder auf einem steinigen Weg nach oben.
An manchen Punkten, kleinen Felsvorsprüngen, die über die Klippen ragen, möchte man verweilen, einfach dasitzen, den Wind und die Sonne im Gesicht, den salzigen Geruch des Meeres in der Nase. Hier wird sie ein bisschen greifbar, die Saudade, jenes portugiesischste aller Gefühle, diese Melange aus Sehnsucht, Melancholie, Schmerz, Nostalgie und Einsamkeit. Eine genaue Übersetzung gebe es nicht, es sei schwer, die Saudade in Worte zu fassen, sagen die Portugiesen. Man müsse ihn spüren, diesen Weltschmerz.
Die Klippen werden flacher, die rauen Felsen verschwinden, ein goldener, menschenleerer Sandstrand empfängt die Wanderer. Der Sand knirscht unter den nackten Füßen, die einsame Abdrücke hinterlassen – hier auf dem letzten Kilometer der Tour, die an einem Fort aus dem 16. Jahrhundert endet, das zur Abwehr von Piraten diente.
Knochen von 5000 Toten als Dekoration
Das Meer verschwindet im Rückspiegel. Über nahezu unbefahrene Autobahnen geht es zurück ins Landesinnere. Schon von Weiten sind die weißen Häuser von Évora zu sehen. Die Hauptstadt des Alentejo liegt auf einem Hügel. Das historische Zentrum der Stadt gehört zum Weltkulturerbe der Unesco und ist auch das kulturelle Zentrum der Region.
Der ehemalige Königspalast, der den Übergang der portugiesischen Gotik zur Renaissance markiert, der römische Diana-Tempel aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus, der das schwere Erdbeben von 1755 nahezu unbeschadet überstand und zu Zeiten der Inquisition als Hinrichtungsplatz genutzt wurde, oder die Knochenkapelle in der Königskirche des Heiligen Franziskus, in der ein Franziskaner-Mönch im 16. Jahrhundert mit den Gebeinen von etwa 5000 Toten die Mauern, Säulen und Torbögen dekorierte, sind nur drei der vielen Kunstschätze, deretwegen es Kulturbeflissene aus aller Welt in die Stadt zieht. Und obwohl in Évora rund 50 000 Menschen leben, ist auch hier die Gangart eine langsame, ruhige, ohne Hektik, die die Stadt in eine wohlige Unaufgeregtheit hüllt.
In der Küche des Alentejo spiegelt sich die Vergangenheit der Region
Nicht nur mit Kunstdenkmälern erzählt Évora die Geschichte des Alentejo. Spiegelbild der Vergangenheit der Region ist auch deren Küche. António Nobre, Küchenchef im Restaurant „Sabores do Alentejo“ in Évora, riecht an einem Bund Koriander, zerreibt das Kraut zwischen seinen Fingern, atmet den würzigen Geruch ein, lächelt. „Das Besondere an der Küche des Alentejo sind die wilden Kräuter, die auf unseren einsamen Wiesen wachsen. So etwas bekommt man nicht im Supermarkt. Diese Aromen sind einzigartig in Europa“, sagt er. Die Kulinarik des Alentejo sei eine typische Arme-Leute-Küche, basierend auf Brot und Olivenöl. Die Gerichte der Region wurden in den vergangenen hundert Jahren kaum verändert. „Wenig Zutaten, wenig Tricks“, beschreibt Nobre die Küche.
Dann fängt er an, den Koriander zu mörsern. Er bildet die Basis für die Sopa de Cação, eine würzig-saure Fischsuppe, die typisch für die Region ist und in die in Olivenöl geröstetes Weißbrot getunkt wird. Sie schmeckt nach Meer, Salz und Sommer, nach Kräutern auf einsamen Wiesen. Sie schmeckt nach dem Alentejo.
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