Geliebter Zornickel
Hilfe, mein Kind trotzt. Eltern können mit Liebe und Gelassenheit die Situation entschärfen.
Andrea betreibt seit neuestem Kampfsport, wie sie es nennt. Obwohl nicht offiziell anerkannt, findet sie die Leistung, ihrer wild strampelnden Tochter eine Strumpfhose anzuziehen, olympiareif. "Meine Technik wird immer besser", sagt sie lächelnd. Doch man merkt, wie stark es an ihren Nerven zerrt.
Kampfsport betreiben auch Paul und Matthias. Der eine zerrt vorne am Bagger, der andere hinten. Dazu wird laut gebrüllt "Meins, meins" oder "Ich zuerst". Die Eltern sagen Sätze wie, "Jetzt nimmt erst der eine den Bagger, dann der andere". Sie verhallen ungehört in den Weiten des Spielzimmers. Tränen kullern, es geht um Leben und Bagger.
Die Abende von Marion und Robert sind angespannt. Wenn Agnes nur zehn Minuten tobt, ist es ein richtig guter Abend. Manchmal geht das über eine halbe Stunde, wenn sie nicht ins Bett will. Ihre Tochter ist dann nicht zu fassen, steckt fest in der Sackgasse Wutanfall. "Das macht uns oft richtig ratlos, sagt Robert.
Eltern und Kinder müssen da irgendwie durch. Wenn das eben noch liebste Kind zum kollernden Zornickel mutiert. Wenn es schreit, wild um sich schlägt und selbst nicht kapiert, was da gerade mit ihm passiert. Als Vater oder Mutter fragt man sich zuweilen fassungslos: Ist das wirklich mein Kind? Es ist.
Zum Trotz ein wenig Trost: Laut Doris Heueck-Mauss, Autorin des Buches "Das Trotzkopfalter", ist die Trotzphase - auch wenn sie viel Energie kostet - ein eigentlich positiver Entwicklungsabschnitt des Kindes. Wenn die Kleinen wütend werden, ihre Enttäuschung zeigen oder sich wehren, lernen sie, sich als Persönlichkeit wahrzunehmen.
Die Psychotherapeutin, die eine Praxis in München betreibt, und Mutter von zwei Kindern ist, hat noch mehr Trost auf Lager: Es geht vorbei. Ab dem dritten Lebensjahr beginnen Kinder allmählich zu akzeptieren, dass ihre Bedürfnisse nicht sofort und in vollem Umfang erfüllt werden können. Vorher können sie dies einfach noch nicht verstehen. Die Zeit läuft also für die Eltern.
Aber was geht in den Kindern vor? Warum müssen sie sich vor Supermarktregalen auf den Boden werfen, mit Legosteinen um sich werfen oder der kleinen Schwester eins drüberbraten? Im Alter zwischen zwei und vier Jahren machen die Kleinen enorme Entwicklungsschritte, nehmen sich als Persönlichkeit wahr, erkennen sich auf Fotografien, reden von sich nicht mehr in der dritten Person, sondern sagen verstärkt "ich", "mein", "mir" oder "mich". Sie werden sowohl motorisch als auch sprachlich sicherer und können sich von den Eltern ein wenig unabhängiger machen. Deswegen wird diese Zeit von Experten auch gerne als Autonomiephase bezeichnet.
Die Kinder wollen selbstständiger agieren und nicht nur Anforderungen der Eltern umsetzen. Und so geraten sie in die Zwickmühle. Weil sie sich eben doch nicht richtig ausdrücken können, ist der Rappel oft die einzige Möglichkeit, sich zu widersetzen, zu zeigen, dass etwas für sie nicht Ordnung ist. Werfen sie sich auf den Boden, können sich die Kleinen sicher sein: Die Botschaft kommt an.
Ganz wichtig, so Heueck-Mauss: Die Trotzköpfe meinen es nicht böse. Auch wenn sie Mal einen Tritt abbekommen, rät Heueck-Mauss den Eltern, diese Attacken nicht persönlich zu nehmen. Was also tun? Da sich das Kind erstmal auskollern muss, helfe es nichts zu schimpfen. Im Gegenteil: "Wenn wir ausrasten, steigert sich das Kind nur noch mehr hinein", erklärt die Psychotherapeutin. Sie gibt den Tipp: Augen zu, Ohren zu, tief durchatmen und bis zehn zählen, den kleinen Wüterich in den Arm nehmen, ein wenig auf den Rücken klopfen - ohne Kommentar! Großes Tabu: Ohrfeigen und Schläge.
"Ich bin groß und das Kind ist klein", das ist ein Satz, den Väter und Mütter nie vergessen dürfen. Merken Kinder, dass sie Erwachsene verletzten oder außer sich bringen, können sie sich nicht auf sie verlassen.
Selbst wenn sie sich gerade wie kleine Monster aufführen, Kinder wollen sich beschützt fühlen. Es gibt Kinder, die rasten nur einmal pro Woche oder nur einmal im Monat aus, andere wiederum mehrmals täglich. Die Häufigkeit der Trotzanfälle hängt vom Temperament der Kinder ab, aber ebenso auch vom Temperament der Eltern und deren Reaktion.
Andrea war kürzlich ganz glücklich: "Wir haben zwei Tage ohne Wutanfälle hingekriegt", freut sich die Mutter. Wenn Tessa jetzt mit einer Schmolllippe den Trotz ankündigt, bleibt Andrea gelassen und sagt: "Komm leg dich schnell auf den Boden, strampel mit den Beinen, schrei ein bisschen, dann haben wir den Zornickel erledigt." Da muss dann sogar Tessa grinsen. Zum Trotz.
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