Karlsruhe kippt Regelung zu Hartz-IV-Verwaltung
Die Jobcenter für die Langzeitarbeitslosen müssengrundlegend neu organisiert werden. Die doppelte Zuständigkeit von Bundund kommunalen Trägern für die Vergabe von Leistungen in denHartz-IV-Arbeitsgemeinschaften (Argen) verstößt gegen das Grundgesetz.
DasBundesverfassungsgericht verfügte in seinem Urteil, dass derGesetzgeber nun bis Ende 2010 eine Neuregelung erlassen muss. Bis dahinbleibt es beim jetzigen Zustand. Damit gab Karlsruhe derVerfassungsbeschwerde von elf Kreisen gegen die organisatorischeUmsetzung der Hartz-IV-Reform teilweise statt (Az: 2 BvR 2433/04 u.2434/04 vom 20. Dezember 2007).
Nicht betroffen sind lediglichdie Jobcenter der sogenannten Optionskommunen, die modellhafteigenständig für die Betreuung der Langzeitarbeitslosen zuständig sind.Bei dem Streit geht es vor allem um die Finanzierung. Die Kläger hattensich dagegen gewehrt, dass der Bund den Jobcentern beziehungsweiseihren Arbeitsgemeinschaften teure Aufgaben zuweisen konnte, ohne sichvoll an den Kosten zu beteiligen.
Nach den Worten des ZweitenSenats verletzt die derzeitige Organisation in den bundesweit mehr als350 Arbeitsgemeinschaften den "Grundsatz eigenverantwortlicherAufgabenwahrnehmung". Die Argen sind Gemeinschaftseinrichtungen vonBundesagentur für Arbeit (BA) und kommunalen Trägern. Dies ist lautVerfassungsgericht im Grundgesetz nicht vorgesehen, weil klarzugeordnet sein muss, welcher Träger für die Erfüllung vonVerwaltungsaufgaben zuständig ist. Er sei verpflichtet, seine Aufgaben"mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisationwahrzunehmen".
Zwar sei das von der rot-grünen Regierung 2003verfolgte Ziel sinnvoll, den Bedürftigen bei der Zusammenlegung vonArbeitslosen- und Sozialhilfe Leistungen aus einer Hand zu gewähren.Dazu müsse die Trägerschaft aber entweder beim Bund bleiben oderinsgesamt den Ländern beziehungsweise den dort angesiedelten Kommunenund Kreisen überlassen werden. Die gemeinsame Zuständigkeit vonBundesagentur und Kreisen oder Städten für die Umsetzung derArbeitsmarktreform war als Folge eines politischen Kompromissesvereinbart worden.
In der Mischverwaltung ist nach den Worten derKarlsruher Richter nicht gewährleistet, dass der jeweiligeVerwaltungsträger eigenständige und unabhängige Entscheidungen über dieHartz-IV- Vergabe treffen könne. Außerdem könnten die Bürger nichteindeutig erkennen, wer für die Wahrnehmung staatlicher Aufgabenverantwortlich sei. Schon bei der Anhörung im Mai hatten ExpertenReibungsverluste infolge der Doppelzuständigkeit beklagt. Drei der achtRichter stimmten gegen die Entscheidung.
BundesarbeitsministerOlaf Scholz (SPD) begrüßte das Urteil. Damit stehe fest, dass dasArbeitslosengeld II verfassungsgemäß sei, heißt es in einerStellungnahme. Kein Arbeitsloser müsse sich Sorgen machen. "Auch nachdem Urteil werden alle Betroffenen ihre Leistungen wie bishererhalten." Die Betreuung und Unterstützung durch die Arbeitsvermittlungvor Ort laufe weiter. "Wir haben Zeit, die Grundsicherung fürArbeitsuchende langfristig tragfähig und effizient zu organisieren. Ichwerde dazu Vorschläge machen und versuchen, trotz der langenÜbergangsfrist zügig eine Lösung zu finden", kündigte Scholz an.
DerDeutsche Städte- und Gemeindebund forderte den Bund auf, sich nicht ausseiner Verantwortung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zurückziehen.Eine Alleinverantwortung überfordere die Gemeinden, sagteHauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Die Arbeitsgemeinschaften müsstenso umgebaut werden, dass die Kommunen ihre "Kernkompetenzen" einbringenkönnten: Hilfe für Überschuldete, Kinderbetreuung für Alleinerziehendeund Schaffung von Ein-Euro-Jobs.
Scholz nannte die vom Gerichtbeanstandete gemeinsame Betreuung der Arbeitslosengeld-II-Bezieher zwar"praktisch und hilfreich", es gehe aber "auch anders". Es gebe bereitsin 21 Landkreisen erfolgreiche Vorbilder, die zeigten, wie dieArbeitsvermittlung für Langzeitarbeitslose in Zukunft aussehen könnte.
MassiveKritik kam von der Links-Fraktion. "Hartz IV ist ein schlechtes und einschlecht gemachtes Gesetz", sagte Fraktionsvize Bodo Ramelow. "Nunzeigt sich, dass die heiße Nadel, mit der der Hartz IV-Sozialabbaugestrickt wurde, das Grundgesetz verletzt hat." Die Verantwortung dafürtrügen "die Hartz IV-Parteien CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne".
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