Ein Land taumelt am Abgrund: Libyen liegt in Trümmern
Acht Jahre nach dem Sturz von al-Gaddafi gehen die Chancen auf eine politische Lösung in Libyen gegen null. Ein Stellvertreterkrieg legt die Region in Trümmer.
Tripolis Noch keine zehn Jahre sind seit dem „arabischen Frühling“ vergangen. Es war das Jahr 2011, das wie in einem Dominoeffekt fast ein halbes Dutzend Langzeitherrscher in Nordafrika und im Nahen Osten wegfegte. Unter ihnen war auch Libyens Herrscher Muammar al-Gaddafi, der das ölreiche Land 42 Jahre fest in seinem Griff hatte.
Heute schlittert Libyen in ein Inferno. Es herrscht Anarchie. Im blutigen Machtkampf zwischen der international anerkannten Regierung in Tripolis und dem einflussreichen General Chalifa Haftar mischen sich zahlreiche Länder ein. Regionale Milizen und Extremisten wie die Terrormiliz Islamischer Staat nutzten das aus. Der gescheiterte Staat in Nordafrika ist zudem wichtiges Transitland für Migranten, die nach Europa wollen. Die Chancen auf eine politische Lösung in Libyen gehen gegen null. General Haftar will die Macht im ganzen Land gewaltsam an sich ziehen. Das Magazin Foreign Policy beschrieb den ergrauten General zuletzt als „verblendet“ und „größenwahnsinnig“.
Die Kriegsparteien legen sich keinerlei Zurückhaltung mehr auf. Sämtliche Vermittlungsbemühungen der Vereinten Nationen sind gescheitert. General Khalifa Haftar, der seit drei Monaten versucht, Tripolis zu erobern, rief jetzt den totalen Luftkrieg gegen die libysche Hauptstadt aus. Erstes schreckliches Fanal dieser Eskalation war in dieser Woche das Raketenmassaker mit 44 Toten in einem Flüchtlingscamp im Vorort Tajoura. Dennoch konnte sich der UN-Weltsicherheitsrat –wie gewohnt – auch diesmal nicht darauf einigen, dieses Kriegsverbrechen einhellig zu verurteilen.
Dschihadisten nutzen das Chaos in Libyen aus
Für Libyen und seine Bevölkerung sind dies apokalyptische Vorzeichen. Nach Syrien und Jemen ist ihre Heimat jetzt die nächste nahöstliche Nation, auf deren Boden fremde regionale Mächte ihre Klingen kreuzen – ein unlösbarer Stellvertreterkrieg zeichnet sich ab. Auf der Seite der international anerkannten „Regierung der Nationalen Übereinkunft“ in Tripolis stehen die Türkei und Qatar. General Khalifa Haftars „Libysche Nationalarmee“ wird von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten hochgerüstet.
Solche von außen kommenden Kontrahenten jedoch nehmen keinerlei Rücksicht auf die örtliche Zivilbevölkerung, von Migranten in Internierungszentren ganz zu schweigen. Stattdessen mischen immer mehr Söldner aus aller Herren Länder auf dem Schlachtfeld mit. Ausländische Kampfflugzeuge operieren völlig ungehindert am Himmel, deren Piloten auf alles feuern, was ihnen ins Visier kommt. Gleichzeitig nutzen Dschihadisten das wachsende Chaos im Land, um ihre Terrornetzwerke neu zu knüpfen.
Dieser nationale Selbstmord Libyens, wie der UN-Sonderbeauftragte Ghassan Salamé die heraufziehende Tragödie charakterisierte, begann Ende März mit der mysteriösen Verhaftung des deutsch-tunesischen UN-Spezialisten Moncef Kartas, der in Libyen Verstöße gegen das UN-Waffenembargo aufspüren sollte. Mehrere Wochen lang ließ Tunesiens Geheimdienst ihn als angeblichen Spion im Kerker verschwinden – kurz nach dem Besuch des saudischen Königs Salman in Tunis. Anfang April rief dann der von Riad protegierte Haftar seinen Sturmangriff auf Tripolis aus, eine Offensive, die inzwischen 730 Tote gefordert sowie mehr als 100.000 Menschen obdachlos gemacht hat.
UN findet keine gemeinsame Strategie für Libyen
Mittlerweile gibt es bei der Aufrüstung kein Halten mehr. General Haftars Armee protzt im Internet offen mit Radpanzern jordanischer Herkunft. Im Gegenzug luden Milizenkommandeure in Tripolis Kamerateams in den Hafen, um ihnen das Ausladen von Panzerfahrzeugen, Maschinengewehren und Flugabwehrraketen aus der Türkei zu demonstrieren. Auch bewaffnete Kampfdrohnen, die auf beiden Seiten von ausländischen Spezialisten gesteuert werden, gelten nicht länger als militärisches Geheimnis. Als Haftars Generalstab vor einer Woche Hals über Kopf seine bisher wichtigste Angriffsbastion, die 80 Kilometer südlich Tripolis gelegene Stadt Garian, räumen musste, ließ er tonnenweise Kriegsgerät zurück, das meiste aus den USA und China, ursprünglich geliefert an die Vereinigten Arabischen Emirate.
Trotzdem ist die internationale Diplomatie gelähmt, der UN-Sicherheitsrat heillos zerstritten. Moskau und Washington kommen auf keinen gemeinsamen Nenner. Eigentlich hatten der amerikanische Außen- und Verteidigungsministerium Haftar zum Rückzug bewegen wollen. Doch dann stärkte US-Präsident Donald Trump dem General mit einem persönlichen Telefonat den Rücken und steuerte die diplomatischen Bemühungen in eine Sackgasse. Der Wille, nach dem Militäreinsatz mit Frankreich und Großbritannien zum Sturz des Langzeitmachthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 erneut in Libyen einzugreifen, geht gegen null.
Auch den von EU-Turbulenzen gebeutelten europäischen Mächten fehlt der politische Wille, das Unheil direkt vor ihrer nordafrikanischen Haustüre zu stoppen. Und es geht auch um handfeste eigene Interessen. Denn auf dem Mittelmeer kocht inzwischen jeder sein eigenes Süppchen. Die frühere Kolonialmacht Italien steht auf der Seite von Tripolis und ist froh, dass die libysche Küstenwache mehr und mehr Bootsmigranten wieder einsammelt und an Land zurückbringt.
Frankreich wiederum stärkt dem angreifenden General Haftar den Rücken, weil man ihm am ehesten zutraut, die Mittelmeergrenze abzudichten sowie die Anarchie von Milizen und Schleppern einzudämmen. Die nahöstlichen Machtrivalen in Abu Dhabi, Kairo und Riad sowie in Ankara und Doha wiederum denken nicht daran, in absehbarer Zeit das militärische Feld zu räumen. Sie setzen voll auf Sieg. Sie werden in Libyen weiterkämpfen lassen und dafür die Waffen liefern, bis alles in Trümmern liegt. (mit dpa)
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Irgendwie kommt es mir so vor, als wenn der Artikel überarbeitet wurde.
Das Positive ist, dass nun deutlich wird, wer alles seine Finger oder Waffen im Spiel hat, dass der Westen einfach keinen Plan hatte und dass es vor allem darum geht Flüchtlinge fernzuhalten.
Passt doch nicht wirklich zu "Westlichen Werten", oder?
Irgendwie frage ich mich, ob sich Journalisten, die einen Artikel schreiben sich mit der Geschichte eines Landes befassen. Oder ob sie den Anspruch erheben, dass der Artikel auch vollständig ist. Dann sollte man das aber auch in einer Einleitung voranstellen.
Was mir sauer aufstößt ist, dass man nach dem Lesen des Artikels den Eindruck hat, dass der arabische Frühling der alleinige Auslöser für den Sturz des damaligen Machthabers Gaddafi ist. Kein Wort von einer Flugverbotszone und die Bombardierung von Flughäfen, aber auch Panzern. ALLES VÖLKERRECHTSWIDRIG. Aber auch darüber kein Wort.
Kein Wort darüber, dass es den Menschen in Libyen vor diesem unseligen Krieg bedeutend besser ging und damit meine ich nicht die Floskel, dass es vor einem Krieg ja immer besser war.
Kein Wort davon, dass dieser Gaddafi einfach weg musste, Parallelen zu Syrien sind durchaus gewünscht. Kein Wort davon, dass dieser Gaddafi den damaligen Präsidentschaftsanwärter Sarkozy mit etlichen Millionen im Wahlkampf unterstützt hat. Aber vielleicht will man das auch nicht mehr hören bzw. schreiben, damit der Leser nicht auf den Gedanken kommt, was Krieg, und das was dazu führt für ein verlogenes Drecksgeschäft ist.
Der Artikel hätte sich wie ein Krimi lesen können, leider, wie so oft nicht.