Brüderles verschwundenes Strom-Gutachten
Regierungsstudie hält Atomausstieg bis 2022 für problemlos. Weniger Leitungen nötig?
Berlin Rainer Brüderle könnte es eigentlich bereits seit letztem Juni wissen. Lange vor Fukushima und der japanischen Atomkatastrophe bekam es der Bundeswirtschaftsminister von der FDP schwarz auf weiß: Bis zum Jahr 2020 kann der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion relativ problemlos auf 40 Prozent gesteigert werden, ohne dass dies zu erheblichen Mehrkosten führt. Mehr noch, der Umstieg sei sogar dann noch „technisch realisierbar und wirtschaftlich vertretbar“, wenn nach dem rot-grünen Atomausstiegsbeschluss alle Kernkraftwerke in Deutschland bis spätestens 2022 nach und nach abgeschaltet werden.
Ministerium lässt Papier in der Schublade verschwinden
Zu diesem Ergebnis kam eine Studie mit dem sperrigen Titel „Voraussetzungen einer optimalen Integration erneuerbarer Energien in das Stromversorgungssystem“, die das Wirtschaftsministerium in Vorbereitung für das Energiekonzept der schwarz-gelben Regierung in Auftrag gegeben hatte. Doch im vorigen Sommer wollte Brüderle, der auf eine deutliche Laufzeitverlängerung aller 17 Atommeiler drängte, von derartigen Szenarien nichts wissen, das Gutachten verschwand in der Schublade und wurde erst Mitte Februar auf der Internetseite des Ministeriums eingestellt.
Dabei widerlegten die unabhängigen Gutachter, die Aachener „Consentec GmbH“ und die Kölner „R2B Energy Consulting GmbH“, schon im letzten Jahr die Behauptung Brüderles, ein rascher Ausbau der erneuerbaren Energien würde ohne eine gleichzeitige deutliche Laufzeitverlängerung die Strompreise explodieren lassen. Dieser Effekt, so die Gutachter, trete erst ab einem Anteil von 50 Prozent ein. Auch beim Ausbau der Stromnetze dürfte es nach den Ergebnissen der Studie keine großen Verwerfungen geben. Während der Wirtschaftsminister davon spricht, dass bis zu 3600 Kilometer neue Hochspannungstrassen nötig seien, um den Ökostrom zu den Kunden zu bringen, kommen die Autoren auf lediglich 250 Kilometer.
Auch der Präsident des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, hat keine Zweifel, dass ein kompletter Atomausstieg bis zum Jahre 2017 möglich ist und der Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020 auf 40 Prozent gesteigert werden kann. Da schon jetzt eine „ganze Reihe“ Kohle- und Gaskraftwerke im Bau sei, könnten die neun Atomkraftwerke, die derzeit noch am Netz sind, „nach und nach abgeschaltet werden“, sagte er der Frankfurter Rundschau. Schon die Abschaltung der acht ältesten Meiler habe die Strompreise bislang kaum steigen lassen, zur Verfügung stünden auch ohne die acht Meiler 90,5 Gigawatt Leistung, während der Spitzenbedarf an einem strengen Wintertag bei rund 80 Gigawatt liege. „Der Puffer reicht allemal.“
Noch optimistischer ist der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Er gehe davon aus, dass Sonne, Wind, Wasser und Co. bis zum Jahre 2050 den Strombedarf in Deutschland zu 100 Prozent decken können, sagte der Generalsekretär des Rates, Christian Hey, am Montag. Dies sei die kostengünstigste, sicherste und auch für die Umwelt günstigste Lösung. „Eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ist nicht erforderlich und stört den beschleunigten Übergang zu den erneuerbaren Energien.“ Während die Kosten für Kohle, Gas oder Uran in den nächsten Jahrzehnten dramatisch steigen werden, werde langfristig ein Umstieg auf Sonne und Wind „kostengünstiger sein als ein konventioneller Energiemix“, prognostizierte er. Wer allerdings Klimaschutz ohne Atomkraftwerke wolle, müsse zu Kompromissen bereit sein, so Hey mit Blick auf den notwendigen Netzausbau.
Koalition reagiert gelassen auf Zahlungsstopp
Mit großer Gelassenheit reagierte am Montag die Bundesregierung auf die Ankündigung der vier großen Energiekonzerne, während des dreimonatigen Moratoriums die Zahlungen in den Ökofonds zum Ausbau erneuerbarer Energien auszusetzen. Die Regierung habe dies „zur Kenntnis“ genommen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Nach Ende des Moratoriums Mitte Juni werde alles gemeinsam betrachtet, dann gelte es auch, die finanziellen Auswirkungen zu klären.
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