Jugendschutz: Experten laufen Sturm gegen neues Gesetz
Deutschland soll ein neues Jugendschutz-Gesetz bekommen - mit drastischen Folgen für Internetdienste und Webseiten-Betreiber. Experten laufen Sturm. Von Sascha Borowski
Zensur ausländischer Webseiten, "Sendezeiten" für Internetangebote, Haftung für fremde Kommentare: Deutschland soll ein neues Jugendschutzgesetz bekommen. Experten laufen Sturm.
Die Debatte kommt zur unpassenden Zeit. Gerade erst sorgen die eigentlich schon beerdigten Internetsperren von Ursula von der Leyen wieder für Wirbel, da steht neuer Ärger ins Haus. Experten, Bürgerrechtler, vor allem aber auch die Internetunternehmen laufen Sturm gegen ein neues Gesetzesvorhaben. Es geht um die Änderung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags, kurz JMStV-E, die demnächst verabschiedet werden soll.
Das Werk mit dem sperrigen Namen soll Kinder und Jugendliche vor ungeeigneten Inhalten im Internet - etwa jugendgefährdenden Webseiten - schützen. Die Art und Weise, wie das geschehen soll, wirft allerdings viele Fragen auf.
"Zensur im Namen des Jugendschutzes", wettert das reichweitenstarke Blog netzpolitik.org bereits. Es drohe "das Ende der freien Kommunikation im Internet", schreibt der Internetanbieter 1&1 in seinem Weblog. "Das Internet soll in Deutschland zum KinderNet für alle umfunktioniert werden", warnt auch die Piratenpartei. Die geplante Neuregelung bedeute nichts anderes als "Zensursula reloaded".
Die Kritiker der Gesetzesänderung (Entwurf als pdf) stoßen sich vor allem an drei möglichen Neuregelungen:
Zensur durch Internetanbieter: Internetdienstanbieter wie T-Online, 1&1, M-Net oder Kabel Deutschland könnten verpflichtet werden, ausländische Webseiten mit jugendgefährdenden Inhalten zu filtern. Damit verbunden müssten die Provider eine Infrastruktur zur Netz-Zensur aufbauen und regelmäßig fremde Inhalte überprüfen und gegebenenfalls blocken.
Haftung für Nutzer-Inhalte: Künftig sollen Betreiber von Mitmach-Angeboten wie Communitys und sozialen Netzwerken nachweisen, dass sie jugendgefährdende Inhalte ihrer Nutzer zeitnah entfernen. Derzeit gilt in Deutschland das genaue Gegenteil: Diensteanbieter sind für fremde Inhalte - wie Kommentare oder Foreneinträge - auf ihren Seiten nicht verantwortlich, wenn sie diese nicht kennen. Mit der neuen Regelung wäre eine Art "Vorzensur" von Nutzer-Inhalten nötig.
"Sendezeiten" für Internetseiten: Internet-Inhalte sollen dem Entwurf zufolge in Alters-Kategorien eingeteilt werden: ab 0 Jahre, ab 6 Jahre, ab 12 Jahre, ab 16 Jahre, ab 18 Jahre. Anbieter müssten dann sicherstellen, dass Kinder jugendgefährdende Inhalte nicht zu sehen bekommen. Das kann durch eine Altersverifikation geschehen - oder durch "Sendezeiten". Bestimmte Internetseiten dürften dann zum Beispiel erst ab 22 Uhr zugänglich sein.
Derartige Vorhaben "schränken die Meinungs- und Rezipientenfreiheit der Bevölkerung übermäßig ein, hemmen die wirtschaftliche und soziale Weiterentwicklung des Internets und bieten gleichzeitig kein höheres Jugendschutzniveau", kommentierte der Arbeitskreis Zensur (AK Zensur) die Pläne in einer Stellungnahme. Durch die neue Inhaltskontrolle werde es "weitaus schwieriger werden, innovative Web 2.0 Dienste zu entwickeln." Auch der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco ließ an der Novelle kaum ein gutes Haar. Stattdessen sprachen die Experten von "Wertungswidersprüchen", "enormen Haftungsrisiken" und "Rechtsunsicherheit".
Die Protest gegen den ersten Entwurf war so groß, dass die Verantwortlichen zumindest in Teilen zurückruderten. Nach einer Anhörung in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz meldete sich Staatskanzleichef Martin Stadelmaier zu Wort. Man sei gründlich missverstanden worden, erklärte er: "Von einer Zwangsklassifizierung war nie die Rede". Die Altersstufen für Online-Angebote seien als freiwillige Einstufung zu sehen. Und auch die Komplett-Haftung für Internetdienst-Anbieter werde es so nicht geben, erklärte eine andere Sprecherin der federführenden Staatskanzlei gegenüber heise.de.
Kritiker beruhigen solche Aussagen allerdings nicht. "Die Fragen sind alles andere als geklärt", betont Alvar Freude vom Arbeitskreis Zensur gegenüber augsburger-allgemeine.de. "Der Entwurf ist weiterhin sehr unklar und breit interpretierbar. Er gibt keine klaren und eindeutigen Regeln vor."
Der nächste Entwurf des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags soll kommende Woche in die Rundfunkkommission. Im März wollen sich die Ministerpräsidenten mit den Regelungen befassen. Anfang 2010 könnten die Änderungen dann inkraft treten.
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