Intensivmediziner Karagiannidis hält neuen Anlauf bei Impfpflicht für sinnlos
Die Impfpflicht ist gescheitert. Jetzt kommt es auf die richtige Vorbereitung auf den Herbst an, sagt Christian Karagiannidis, Mitglied im Corona-Expertenrat der Bundesregierung.
Der Bundestag hat die Impfpflicht abgelehnt. Gesundheitsminister Karl Lauterbach will es weiter probieren, Bundeskanzler Olaf Scholz hat dem eine Absage erteilt. Ist das Vorhaben endgültig gescheitert?
Christian Karagiannidis: Das war eine demokratische Entscheidung, die wir respektieren sollten. Ich hätte mir etwas anderes gewünscht, aber ich bin nicht dafür, dass man das Fass wieder aufmacht. Wenn wir die Diskussion noch mal anfangen, kommt überhaupt keiner mehr mit. Wir sollten überlegen, wie wir uns auch ohne eine Impfpflicht auf Herbst und Winter vorbereiten können.
Was erwartet uns sonst?
Karagiannidis: Wir hatten zwei Jahre lang keine Grippewelle und viel, viel weniger andere Infektionen. Ich befürchte, dass wir dieses Jahr viele Infektionskrankheiten parallel haben werden. Wenn wir ohne Schutzmaßnahmen in den Herbst und den Winter gehen, droht eine ziemliche Überlastung des Gesundheitswesens. Auch für die Intensivstationen würde das eine starke Belastung bedeuten. Wir haben vergangenen Herbst schon gesehen, was mit den RSV-Viren bei Kindern passiert ist. Da waren die Kinderkliniken direkt rappelvoll.
Worauf kommt es bei der Vorbereitung auf die kälteren Jahreszeiten an?
Karagiannidis: Ich finde schwierig, dass das Infektionsschutzgesetz so zusammengestrichen worden ist. Ich halte es für wahrscheinlich, dass wir temporär noch mal eine Maskenpflicht brauchen. Wichtig ist auch, dass die Krankenkassen endlich erfahren, welche Versicherten geimpft sind. Das würde uns erlauben, die Wirksamkeit der Impfung besser einzuschätzen. Wir könnten so auch Impfnebenwirkungen besser erfassen. Außerdem müssen die Krankenhäuser auf den Herbst vorbereitet sein.
Was ist dabei wichtig?
Karagiannidis: Es kommt immer darauf an, das Verhältnis zwischen Personal und Arbeitsaufwand zu messen. Wir haben überhaupt kein gutes Monitoring, das zeigt, was in den Kliniken wirklich los ist. Wie viele Patienten betreut eine Pflegekraft? Ich befürchte, dass der Personalmangel weiter zunimmt, wenn die Leute sich in den Sommermonaten umgucken und dann sehen, dass sie woanders für weniger intensive Arbeit mehr Geld kriegen. Wenn wir im Herbst mit noch weniger Personal dastehen, müssen wir umso besser vorbereitet sein.
Besteht die Gefahr, dass die Spirale aus Lockerungen und Lockdowns weitergeht, falls die Verantwortlichen nicht die notwendigen Vorbereitungen für den Herbst treffen?
Karagiannidis: Das kann man zwar nicht ausschließen, aber ich halte einen Lockdown nicht für wahrscheinlich.
Hat die gescheiterte Impfpflicht auch Auswirkungen auf den Sommer?
Karagiannidis: Ich glaube nicht, dafür spielt das keine wesentliche Rolle. Jetzt ist es auch total wichtig, dass die Bevölkerung sich erholt. Wir brauchen echt eine Pause. Alle. Wir brauchen eine Pause von Corona, von den Maßnahmen und von zu vielen Patienten. Die Situation auf den Intensivstationen ist stabil, wir kommen jetzt erst einmal in eine gute Phase. Aber die endet eben irgendwann, vielleicht im September, vielleicht im Oktober.
Die Omikron-Typen gelten zwar als hochansteckend, aber als weniger gefährlich im Vergleich zu ihren Vorgängern. Besteht die Gefahr, dass wieder eine gefährlichere Variante dominant wird?
Karagiannidis: Die Omikron-Weiterentwicklungen machen mir aktuell keine Sorgen. Wir könnten Pech haben, wenn sich aus Delta heraus noch mal eine ansteckendere Variante entwickelt. Diese Gefahr schwingt mit. Das ist aktuell aber ein Blick in die Glaskugel. Da kann man noch keine seriöse Einschätzung treffen.
Inzidenz, Hospitalisierungsrate, Auslastung der Intensivstationen. Kennzahlen, die die Gefahr des Coronavirus darstellen sollen, gibt es viele. Welche ist aktuell wichtig?
Karagiannidis: Wichtig ist es, die Belastung des Gesundheitswesens gut zu messen. Dazu gehört nicht nur die Intensivauslastung. Wir brauchen einen Überblick darüber, wie viele Patienten mit anderen Infektionskrankheiten wie Influenza ins Krankenhaus kommen. Wir brauchen auch eine bessere Echtzeit-Datenübertragung von den Notaufnahmen. Es kann nicht sein, dass wir eine Hospitalisierungsrate haben, die erst zwei Wochen später richtig funktioniert. Bis Herbst müssen wir Bemessungsinstrumente ausbauen.
Zur Person: Professor Christian Karagiannidis, 48, ist Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin. Er leitet ein Zentrum der Lungenklinik des Klinikums Köln-Merheim. Der Intensivmediziner ist Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung und Leiter des DIVI-Intensivregisters, das Auskunft über die Auslastung deutscher Intensivstationen gibt.
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Man sollte und muss zur Kenntnis nehmen, dass durch das völlige Fehlverhalten der Politik, durch mangelnde Konsequenz, Weitsichtigkeit, Empfindlichkeiten, etc. die gesamte Thematik "Impfen" seit Anbeginn der Coronapandemie falsch und fehlerhaft angefangen wurde. Über ein "vieleicht" kam man doch nicht hinaus. Und jetzt, nach nunmehr fast zwei Jahren ist die gesamte Angelegenheit nur noch lästig und nicht mehr zu einem Ende zu bringen. Und hier sind nicht nur die jetzigen Politiker mit Regierungsverantwortung schuld. Von Anfang an in den Sand gesetzt; und auch das bisher gesetzlich geregelte ist weder effektiv noch realistisch anzusehen. Mit den derzeitigen politischen Strömungen kann und werden wir keinen Erfolg haben.