Sozialministerin Scharf nimmt beim Bürgergeld jetzt den Bund in die Pflicht
Bayerns CSU-Sozialministerin Ulrike Scharf hat für die Union den Bürgergeld-Kompromiss mitverhandelt. Sie erklärt, wo sie Schwächen und auch Fortschritte sieht.
Frau Ministerin, Sie haben das Bürgergeld bislang als einen schweren Systemfehler kritisiert. Jetzt gibt es zwischen Koalition und Union einen Kompromiss. Sind damit aus Sicht der Union die größten Schwächen beseitigt und die Zustimmung im Vermittlungsausschuss und Bundesrat nur noch Formsache?
Ulrike Scharf: Wir haben seitens der Union den Systemfehler des Gesetzes der Ampel korrigieren können und entscheidende Veränderungen herbeigeführt. Wir konnten vor allem bei unseren Kernforderungen der Sanktionen und des Schonvermögens in unserem Sinne einen Kompromiss erzielen. Aus meiner Sicht ist dieser Kompromiss, den wir jetzt dem Vermittlungsausschuss vorlegen, zustimmungsfähig. Im Vermittlungsausschuss müssen jetzt noch die gesetzlichen Detailfragen geklärt werden.
Nach der jetzigen Einigung soll die geplante sogenannte Vertrauenszeit entfallen und Sanktionen von Beginn an gelten. Aber hatte nicht auch die Union vor der Bundestagswahl angesichts der Verfahrensflut vor den Sozialgerichten Vereinfachungen bei den Sanktionsregelungen gefordert?
Scharf: Für uns ist ganz entscheidend, dass die Sanktionsmöglichkeiten wirklich vom ersten Tag an in Kraft treten. Das heißt, wenn es Pflichtverletzungen gibt, Terminverletzungen oder Jobangebote ausgeschlagen werden, dann gilt das Prinzip der Sanktionen ab dem ersten Tag. Die geplante Vertrauenszeit ist vom Tisch. Das war für uns sehr wichtig. Es ist unstrittig, dass wir Vereinfachungen beim Umgang mit Sanktionen brauchen. Künftig wird es im Gesetz bei Streitfällen über Sanktionen Schlichtungsverfahren geben, die viele Jobcenter bereits vor Ort freiwillig gemacht haben. Diese sollen zügig innerhalb von vier Wochen abgeschlossen sein und zu weniger Gerichtsverfahren führen. Es ist gut, bevor man vor Gericht zieht, miteinander ins Gespräch zu kommen: Denn oft liegen solche Streitfälle in der Praxis schlicht an Verständigungsproblemen.
Warum war es der Union so wichtig, das Schonvermögen – anders als beim Wohngeld – von 60.000 Euro beim Bürgergeld auf 40.000 Euro abzusenken?
Scharf: Für die Union geht es beim Schonvermögen um eine Frage der Gerechtigkeit. Und damit stehen wir nicht allein, wenn wir Expertenaussagen und die Umfragen anschauen. Es ist den Menschen, die jeden Tag früh aufstehen und arbeiten gehen, nicht zuzumuten, dass andere Bürgergeld bekommen, obwohl sie ein so hohes Vermögen in der Hinterhand haben. Wenn Sie eine Bedarfsgemeinschaft aus mehreren Personen haben, summiert sich das noch auf. 60.000 Euro für den Antragsteller oder die Antragstellerin und 30.000 Euro für jede weitere Person war uns viel zu hoch. Wir haben hier 40.000 und 15.000 Euro durchgesetzt.
Im Vorfeld der Einigung gab es einen harten Streit, ob jemand, der Vollzeit arbeitet, wirklich mehr Geld in der Tasche hat, als wenn er nur Sozialleistungen bezieht. Befürchten Sie weiterhin, dass durch das neue Bürgergeld der Lohnabstand tatsächlich schmilzt?
Scharf: Zunächst möchte ich zwei Dinge klarstellen: Wir waren von Anfang an dafür, dass der Regelsatz erhöht werden muss, angesichts der Inflation mit gestiegenen Lebenshaltungs- und Energiekosten. Und beim Lohnabstandsgebot gilt natürlich auch, dass Löhne und Gehälter nicht von der Politik festgelegt werden, sondern Sache der Tarifparteien ist. Aber wir sehen in vielen Musterrechnungen, dass bisherige Niedrigverdiener, verglichen mit den ursprünglichen Bürgergeld-Plänen, in vielen Fällen nicht mehr Geld bekommen hätten, als wenn jemand nicht arbeitet und Bürgergeld bezieht. So etwas kann auf Dauer nicht funktionieren. Deutschland fehlen bis 2035 in Deutschland sieben Millionen Arbeitskräfte, diese Herausforderung müssen wir jetzt noch stärker in den Blick nehmen. Das lässt sich mit dem jetzigen Kompromiss nicht lösen.
Schafft das Bürgergeld denn ausreichend Anreize für Leistungsbezieher, eine Vollzeitarbeit anzunehmen?
Scharf: Die Reform stärkt und verbessert die Hinzuverdienstmöglichkeiten. Es ist die Arbeit des Jobcenters, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Menschen möglichst schnell in Arbeit zu bringen. Und Arbeit ist sehr viel mehr, als nur Brot zu verdienen. Arbeit hat mit Teilhabe und Selbstwertgefühl zu tun. Deshalb ist es so wichtig, alles daran zu setzen, wirklich zu aktivieren und nicht zu alimentieren. Deshalb haben wir so auch für die Beibehaltung des Prinzips Fördern und Fordern gekämpft, dazu gehören eben auch die Sanktionen. Die Bundesregierung muss jetzt dafür sorgen, die Mittelausstattung der Bundesagentur für Arbeit wesentlich zu verbessern, damit die Jobcenter vor Ort tatsächlich wieder mehr Menschen in Arbeit bringen können.
Können die Jobcenter die Reform zum 1. Januar überhaupt stemmen, nachdem sie sich um ukrainische Kriegsflüchtlinge kümmern müssen?
Scharf: Die bessere Ausstattung der Jobcenter muss jetzt klar im Mittelpunkt der Bürgergeld-Reform stehen. Die Belastung für die Jobcenter ist durch die Betreuung der aus der Ukraine geflüchteten Menschen sehr groß und wird nicht weniger. Zusätzlich werden die Beschäftigten in den Jobcentern mehr Zeit brauchen, um für die Arbeitssuchenden da sein und ihnen helfen zu können. Und dazu braucht es mehr Mittel für die Jobcenter. Der Bund muss jetzt dafür sorgen, dass all das, was er mit dem Bürgergeld verspricht, vor Ort auch umgesetzt werden kann.
Was bleibt denn noch von der Reform außer einem neuen Namen? Hartz IV hieß ja offiziell schon immer Arbeitslosengeld II. Nun bekommt es den besser klingenden Namen Bürgergeld.
Scharf: Der Begriff Bürgergeld stört mich nach wie vor, weil damit unterstellt wird, jeder habe darauf einen Anspruch: Aber es ist der vollkommen falsche Ansatz, eine Anspruchserwartung zu erwecken. Wir müssen vielmehr denjenigen helfen, die unsere Hilfe brauchen. Das ist das Standbein der Solidarität. Aber es braucht auch diejenigen, die jeden Tag aufstehen und in die Arbeit gehen. Also wenn es nach mir ginge, wäre eine andere Bezeichnung besser. Aber dieser Punkt war in den Verhandlungen nicht durchzusetzen.
Haben Sie dann unter dem Strich ein gutes Gewissen, wenn Bayern am Freitag im Bundesrat der Reform zustimmt?
Scharf: Ich habe tage- und auch nächtelange Verhandlungen hinter mir und kann dem Vermittlungsausschuss empfehlen, dem Kompromiss zuzustimmen. Aber es bleibt noch einige Arbeit für die Ausarbeitung der Gesetze und es gibt vielleicht noch Änderungsanträge. Insofern wird man das am Freitag sehen.
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