Der Islamische Staat greift in Syrien wieder an
Die Extremisten versuchen, ein Gefängnis zu stürmen und Insassen zu befreien. Doch dahinter steckt ein viel größeres Problem.
Der schwerste Angriff des Islamischen Staates (IS) seit dem Ende seines „Kalifats“ vor drei Jahren kam nicht aus heiterem Himmel. Schon lange bevor IS-Trupps mit Autobomben und schweren Maschinengewehren zum Sturm auf das Gefängnis der nordost-syrischen Stadt Hassaka ansetzten, um 3500 Gesinnungsgenossen zu befreien, hatte sich die Rückkehr der Extremisten abgezeichnet. Sie profitieren davon, dass der militärische Druck auf sie nachlässt und die Zivilbevölkerung unzufrieden mit der Kurdenregierung in Ost-Syrien ist.
Die syrischen Kurden beklagen seit Jahren, dass sie mit der Bewachung der IS-Mitglieder allein gelassen werden. Viele Länder weigern sich, ihre Staatsangehörige aus den Gefängnissen zurückzunehmen. Andere nehmen nur Frauen und Kinder zurück. Das reiche bei weitem nicht aus, sagte Ferhad Shami, Sprecher der kurdisch dominierten Miliz SDF (Demokratische Kräften Syriens), der Nachrichtenagentur ANF. Shami befürchtet, dass der Angriff auf das Gefängnis in Hassaka der Anfang einer neuen Gewaltwelle des IS ist. „Die Lage ist sehr ernst und gefährlich“, sagte er. „Es geht nicht um einen lokalen Vorfall, sondern um eine strategische Aktion. Der IS will sich wiederbeleben.“ Zeitgleich mit dem Angriff in Hassaka überfielen Kämpfer im Irak eine Kaserne und töteten Soldaten.
Die internationalen Truppen sind in Syrien nur noch in Rumpfstärke präsent
Seit dem Ende des „Kalifats“ durch die Eroberung der letzten IS-Bastion in Syrien im März 2019 hat die internationale Koalition ihre Militärpräsenz in der Region abgebaut. In Syrien sind nur noch etwa 900 US-Soldaten stationiert, im benachbarten Irak haben die Amerikaner ihren Kampfeinsatz offiziell beendet. Europäische Staaten wie Deutschland haben ihr Engagement wegen der Pandemie ebenfalls reduziert. Die syrische Armee konzentriert sich auf die Rückeroberung der Rebellenprovinz Idlib.
Mehrere tausend IS-Kämpfer zogen sich 2019 in ein Wüstengebiet in Syrien zurück und wagten sich zunächst nur mit sporadischen Angriffen und Anschlägen von Schläfer-Zellen aus der Deckung. Zudem nutzte der IS die Spannungen zwischen der arabischen Bevölkerung und der Kurdenregierung im Osten Syriens. Die Araber fühlen sich diskriminiert. Auch sind sich die internationalen Gegner des IS untereinander uneins: Die Türkei betrachtet die SDF-Miliz als kurdische Terrororganisation und ist mehrmals in Syrien einmarschiert, um die Kurden aus dem Grenzgebiet zu vertreiben.
Das Washington-Institut forderte schon im vergangenen Jahr, die internationale Gemeinschaft müsse mehr tun, um die Lokalbehörden in den vom IS gefährdeten Gebieten zu stärken, die SDF aufzurüsten und eine Verständigung mit der Türkei zu suchen. Nur auf diese Weise könnten die Dschihadisten wirksam bekämpft werden.
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