
Darf Getreide trotz Ukraine-Krieg im Tank statt auf Tellern landen?


Exklusiv Fast jeder Autofahrer tankt mit Benzin und Diesel einen Anteil Biosprit aus Nahrungsmitteln. Der Ukraine-Krieg könnte der umstrittenen Praxis ein Ende bereiten.
Es gibt nicht wenige Menschen in Deutschland, die um Produkte mit Palmöl im Supermarktregal am liebsten einen Bogen machen. Das flüssige Fett aus den Fruchtkernen der Ölpalme genießt vor allem aus Klimaschutzgründen keinen guten Ruf, nachdem laut Umweltschützern noch immer wertvolle Regenwaldflächen für neue Plantagen gerodet werden. Die wenigsten Diesel-Autofahrer wissen aber, dass sie mit dem normalen Treibstoff an der Tankstelle meist auch einen guten Schuss Palmöl pro Liter Sprit tanken. Und das ausgerechnet aus Klimaschutzgründen.
Laut Gesetzesvorgaben müssen sieben Prozent pro Liter Diesel aus sogenanntem Biokraftstoff bestehen. Beim Diesel gilt Palmöl neben Rapsöl und altem Frittieröl als wichtigste Quelle. Auch Besitzer von Benzinern tanken fünf bis zehn Prozent beigemischten Biosprit, wie die Bezeichnungen E5 und E10 am Tankrüssel verraten. Hergestellt wird der Benzin-Zusatz vor allem aus Getreide und Zuckerrüben.
Der Sinn von Biosprit ist seit Jahren umstritten
Über den Umwelt-Nutzen des Auto- und Lkw-Sprits aus nachwachsenden Rohstoffen herrscht seit vielen Jahren ein erbitterter Expertenstreit. Doch seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Weltkornkammer Ukraine wird nicht nur das moralische Dilemma, wenn Nahrungsmittel im Tank statt auf dem Teller landen, noch größer. Auch die Kosten der Kraftstoffzusätze könnten explodieren und den Sprit weiter verteuern. Getreide aus der Ukraine ist laut einer Studie der Deutschen Umwelthilfe Grundlage für fast 40 Prozent des in Deutschland eingesetzten Bioethanols.
„Pflanzen anzubauen, um sie in Autos zu verbrennen, ist ein massives Problem“, kritisiert Umwelthilfe-Chef Jürgen Resch. Der Umweltschützer will angesichts ökologisch wie sozial fragwürdiger Aspekte beim landwirtschaftlich erzeugten Sprit auch nicht von „Bio“ sprechen, redet lieber von Agrokraftstoff.

„Allein für die in Deutschland getankten Agrokraftstoffe sind weltweit etwa 1,9 Millionen Hektar Agrarland belegt – eine Fläche größer als Sachsen“, sagt Resch. Dieses Land stehe der Landwirtschaft nicht mehr für die Nahrungsmittelproduktion oder andere Zwecke zur Verfügung. „Unterbrochene Lieferketten aufgrund des Ukrainekriegs führen zu steigenden Preisen von Rohstoffen wie Weizen, Mais oder Speiseölen – ein Problem vor allem für Länder in Westafrika und dem Nahen Osten“, warnt Resch.
Der Krieg in der Ukraine verschärft das Biosprit-Dilemma
Laut den Vereinten Nationen treibt der Krieg in der wichtigen Kornkammer Ukraine durch wegbrechende Lieferungen bereits jetzt Millionen Menschen in den Hunger. Und der Krieg setzt eine verhängnisvolle weltweite Kettenreaktion in Gang, die längst auch Staaten wie Indonesien und Malaysia erreicht hat. Die beiden Staaten zählen zu den weltweit größten Produzenten von Palmöl. Nachdem die Ukraine als wichtiger Produzent von Raps- und Sonnenblumenölsaaten ausfällt, stoppte jetzt Indonesiens Präsident Joko Widodo den Export von Palmöl ins Ausland und reagierte damit auf Proteste der Bevölkerung gegen stark steigende Lebensmittelpreise. Die Regierung von Malaysia verbot im eigenen Land, Palmöl in Dieselkraftstoffen beizumischen.

Umwelthilfe-Chef Resch warnt vor negativen Folgen, die wiederum der Einbruch der Palmölexporte in anderen Staaten auslösen könnte, wenn der Verbrauch weiter so hoch bleibe: „Sollte Palmöl auf dem globalen Markt in großem Stil durch andere Speiseöle ersetzt werden, hat das gravierende Auswirkungen auf den Flächenverbrauch“, erklärt der Experte. „Denn Palmöl erzeugt pro Fläche fünf- bis achtmal mehr Öl als andere Ölpflanzen.“ Deshalb müsse nun der Verbrauch an geeigneten Stellen reduziert werden. „Die bisherige Verschwendung von Speiseölen als Agrokraftstoff bietet hierfür einen guten Ansatzpunkt“, betont Resch. „Die Deutsche Umwelthilfe fordert die Bundesregierung auf, Agrokraftstoffe mit sofortiger Wirkung vollständig und dauerhaft aus der Förderung zu nehmen“, erklärt er.
Bundesregierung will Produktion von Biosprit einschränken
Tatsächlich steht das Thema in Berlin auf der Tagesordnung: Bundesumweltministerin Steffi Lemke spricht sich dafür aus, weniger Getreide und Pflanzenöl für Biosprit zu verwenden. „Agrokraftstoffe aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen sind keine sinnvolle Option“, sagt die Ministerin im Gespräch mit unserer Redaktion. „Agrarflächen sind weltweit begrenzt, wir brauchen sie dringend für die Ernährung, das führt uns der Krieg in der Ukraine dramatisch vor Augen“, betont die Grünen-Politikerin.

Gerade die Menschen im globalen Süden litten besonders unter den Folgen der Krise und der fehlenden Verfügbarkeit von Getreide und weiteren Grundnahrungsmitteln. „Daher liegt es in unserer Verantwortung als großer Industriestaat, dass Agrarflächen für die Produktion von Nahrungsmitteln und nicht für den Tank genutzt werden“, sagt Lemke. „Bereits ab 2023 gibt es ein Aus für Palmöl im Tank“, verweist sie auf das bereits von der Großen Koalition beschlossene Ende der Förderung des umstrittenen Spritzusatzes, der in EU bis 2030 erlaubt bleibt. „Ich will jetzt den nächsten Schritt gehen und auch den Einsatz von Agrokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen weiter reduzieren“, kündigte sie an. Die Details würden derzeit zwischen ihrem Ressort und dem Bundeslandwirtschaftsministerium besprochen.
Streit um Beimischungs-Quoten von Biokraftstoff
Offen ist, ob die Mindestquoten zur gesamten Biospritbeimischung für die Mineralölbranche bei Benzin und Diesel gesenkt oder gar ausgesetzt werden. Landwirtschaftsverbände und die Opposition warnen vor radikalen Einschnitten. Der Verband der Biokraftstoffindustrie betont, dass die Produktion von pflanzlichen Sprits wegen der hohen Erzeugerpreise bereits gesunken sei. „Der Markt reagiert und mehr Agrarrohstoffe gehen in den Nahrungsmittelmarkt“, sagt Geschäftsführer Elmar Baumann. „Deshalb gibt es aktuell keinen Grund, weshalb die Biokraftstoffquoten abgesenkt werden sollten.“
Auch der Energieexperte der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Andreas Lenz, verweist darauf, dass die Biokraftstoffe zur Einsparung von jährlich über zehn Millionen Tonnen des klimaschädlichen Treibhausgases CO2 führten. „Biokraftstoffe verringern den Bedarf an fossilen Kraftstoffen deutlich und leisten damit einen Beitrag zur Versorgungssicherheit und weniger Abhängigkeiten“, fügt der Ebersberger CSU-Abgeordnete hinzu. „Wir leben doch in einer Zeit, wo klar wird, dass weder die Versorgungssicherheit bei der Ernährung noch bei der Energie gottgegeben sind“, mahnt er. Zudem entstünden bei der Biokraftstoff-Herstellung wichtige Nebenprodukte für die Lebens- und Futtermittelbranche.
Mineralölbranche setzt auf E-Auto-Fahrer mit THQ-Prämien
Lenz warnt alle Seiten davor, die Krise für eigene politische Lieblingsprojekte zu instrumentalisieren und dabei andere Potenziale verstreichen zu lassen. So wirft der CSU-Politiker den Grünen vor, bewusst nicht die Ausnahmeerlaubnis der EU zu nutzen, ökologische Vorrangflächen der Landwirtschaft für den Nahrungsmittelanbau freizugeben. „Deutschland hat davon keinen Gebrauch gemacht und damit wertvolle Flächen etwa für den Anbau von Getreide verschenkt“, kritisiert er. „Demgegenüber haben etwa Österreich, Frankreich, Polen, Spanien und Italien diese Möglichkeit genutzt. Das wäre auch ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Welternährung gewesen.“
Seit Beginn des Jahres versucht die Mineralölwirtschaft nun mit unkonventionellen Methoden, ihre gesetzlich vorgeschriebene „Treibhausgasminderungsquote“ auch anders als vor allem mit der Beimischung von Biokraftstoffen zu erfüllen: Im Internet ist ein regelrechter Boom von Maklerfirmen entstanden, die Besitzern von reinen Elektroautos Prämien von über 300 Euro pro Jahr anbieten, wenn sie ihre rechnerische CO2-Einsparung gegenüber Verbrennerfahrzeugen der Wirtschaft überschreiben.
Die Diskussion ist geschlossen.
>>Von Thomas T. vor 34 Min. Sehr geehrter Herr Kamm<<
Ein seriöses Zitat für Ihre Behauptung, dass "die Grünen so lange um den Weizen und Mais im Tank als großartig Klimaschutzmaßnahme gekämpft" haben, fehlt.
Doch das ist alles eine Nebensächlichkeit. Und dabei geht es eher um Ihre Glaubwürdigkeit.
Gerade durch den russischen Krieg gegen die Ukraine wird der Hunger in der Welt voraussichtlich dramatisch steigen. In Deutschland wird die Konkurrenz um die Äcker und Wiesen stark zunehmen. Denn die globalen Getreidepreise steigen stark und so wird die Nachfrage aus dem Ausland auch in Deutschland die Preise erhöhen. Zugleich möchten einige mehr Biogas produzieren, um damit Erdgas zu ersetzen. Und zugleich sollen viele PV-Freilandanlagen errichtet werden, um viel mehr sauberen Strom zu erzeugen.
Raimund Kamm
Also - da haben die Grünen so lange um den Weizen und Mais im Tank als großartig Klimaschutzmaßnahme gekämpft. Da kann das doch jetzt unmöglich falsch sein.
Und das gerade die DUH nun auf einmal den Menschen, als im Mittelpunkt des Handelns stehend erkennt, ist geradezu Zynismus
Unbelegte Behauptung. Gerade die Klimaschutzschummeleien mit E 10 wurden nach meiner Erinnerung sowohl von den Umweltverbänden wie auch den Politikern der GRÜNEN kritisiert. Eingeführt wurde E 10 von einer CDU/CSU/FDP-Bundesregierung.
Wir Umweltschützer*innen kritisieren seit mindestens zwei Jahrzehnten, dass Regenwälder vernichtet werden, um Palmöl-Plantagen anzulegen.
https://www.augsburger-allgemeine.de/guenzburg/Kreis-Guenzburg-Bernhard-Lohr-Die-Stimme-fuer-den-Regenwald-id43676216.html
https://verein-faszination-regenwald.de/category/allgemein
Raimund Kamm
Sehr geehrter Herr Kamm
Das ein gewisser Jürgen Trittin ein Vorkämpfer für das 2006 in Deutschland verpflichtend eingeführte E10 ist, ist weiter unten schon aufgeführt. Das ist eines der Gesetze, über für die deutsche Regierung Erfüllungsgehilfen der EU und das Parlament zum Abnickverein degradiert wurde. Das ganze basiert auf der EU-Biokraftstoffrichtlinie 2003/30/EG für welche die Grünen voller Leidenschaft gekämpft haben. Und die war verpflichtend umzusetzen. Ein NEIN gab es da nicht mehr.
Und das die DUH, die je gegen den Menschen „für die Umwelt“ antritt, sich jetzt um E10 Gegner mausern will ist schlicht absurd.
!!! Der Acker wird zum Bohrloch des 21. Jahrhunderts !!! (Jürgen Trittin)
>> Raimund Kamm: Gerade die Klimaschutzschummeleien mit E 10 wurden nach meiner Erinnerung sowohl von den Umweltverbänden wie auch den Politikern der GRÜNEN kritisiert. <<
Herr Kamm versucht hier durch Unwahrheiten die Verantwortung der Grünen für Biosprit zu leugnen!
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/irrweg-biosprit-gruenen-tragen-verantwortung-fuer-debakel-a-851607.html
>> Es ist nicht lange her, dass Jürgen Trittin den Biosprit als "Kraftstoff für unsere Zukunftsfähigkeit" pries, da war er noch Bundesumweltminister und Herr über etliche Fördermillionen. "Der Acker wird zum Bohrloch des 21. Jahrhunderts, der Landwirt wird zum Energiewirt", verkündete er im November 2005 auf dem Internationalen Fachkongress für Biokraftstoffe, unter dem Beifall der anwesenden Lobbyvertreter und sonstigen Nutznießer. <<
Von Peter P. >>Herr Kamm versucht hier durch Unwahrheiten die Verantwortung der Grünen für Biosprit zu leugnen!<<
Auch Sie werden vermutlich diese Behauptung nicht mit einem seriösen Zitat begründen können. Vermutlich nur mit der Meinungsaussage von J. Fleischhauer im Spiegel.
Raimund Kamm
https://www.cducsu.de/themen/europaeische-union/der-acker-wird-zum-bohrloch-des-21-jahrhunderts
>>
Meine sehr verehrten Kollegen, zunächst einmal die Frage: Wie sind wir eigentlich in die heutige Situation gekommen? Dazu möchte ich Ihnen gerne zwei Zitate vorlesen. Im Jahre 2005 sagte der damalige Bundesminister für Umwelt auf dem Internationalen Fachkongress für Biokraftstoffe wörtlich:
Der Acker wird zum Bohrloch des 21. Jahrhunderts, der Landwirt wird zum Energiewirt.
Seine Kollegin aus dem Agrarministerium hat wörtlich ergänzt:
Wir wollen Landwirten den Weg für den Einsatz von Biokraftstoffen ebnen und deren Markteinführung beschleunigen.
Heute wollen diese beiden Spitzengrünen bei ihrer Kandidatentour durchs Land nichts mehr davon wissen. Heute heißt es bei Frau Künast – wörtlich –:
Wir waren immer gegen E 10.
<<
ACKER WIRD ZUM BOHRLOCH DES 21. JAHRHUNDERTS
(Jürgen Trittin)
Ein intensiv Biosprit nutzendes Land wie Brasilien trägt keine Verantwortung für das enorme Bevölkerungswachstum in Afrika oder Afghanistan, Pakistan etc. und damit einhergehende Nahrungsmittelknappheit.
Die einzige Verantwortung besteht gegenüber der eigenen Umwelt. Die spielte aber bei der Etablierung der Technologie keine Rolle.
https://www.swissinfo.ch/ger/alternative-treibstoffe_brasiliens-kampf-gegen-schattenseiten-von-biosprit/33757894
>> Bei der Herstellung von Ethanol aus Zuckerrohr hat Brasilien eine historische Führungsrolle inne, die aus den Tagen der Diktatur datiert. In den 1970er-Jahren investierte das damalige Militärregime gross in die Entwicklung von alternativen Energiequellen, um die Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern. <<
Im Grunde aber ein gutes Beispiel, wie uns Umweltpolitik auf den Arm nimmt...
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/irrweg-biosprit-gruenen-tragen-verantwortung-fuer-debakel-a-851607.html
>> Es ist nicht lange her, dass Jürgen Trittin den Biosprit als "Kraftstoff für unsere Zukunftsfähigkeit" pries, da war er noch Bundesumweltminister und Herr über etliche Fördermillionen. "Der Acker wird zum Bohrloch des 21. Jahrhunderts, der Landwirt wird zum Energiewirt", verkündete er im November 2005 ... <<
E war in Anfang an klar, dass z es Schwachsinn ist Lebensmittel in den Tank zu stecken, wenn Menschen an Mangelernährung sprichwörtlich - Entschuldigung für die Wortwahl - "verrecken".
Aber die Politiker Pflaumen brauchen bekanntlich ja immer länger, bis die Realität sie einholt.
Warum wird denn nur immer auf dem Sprit fürs Auto rumgehackt?
Was wird denn in die viel gelobten Biogasanlagen reingeworfen? Wächst der Mais dafür einfach so als Unkraut am Wegrand?