Beim Königsbrunner "Queerspace" zählt nur die Liebe und nicht das Geschlecht
Wer von den gängigen Vorstellungen von Geschlecht und Beziehung abweicht, der hat es nicht leicht. Die Königsbrunner Gruppe "Queerspace" bietet einen festen Anker.
Wenn Timon mit einigen seiner Freunde unterwegs ist, kommt es für den 18-Jährigen nicht selten zu merkwürdigen Situationen. Wie neulich auf einem Dorffest, als sich ein Junge von einem Werbestand eine rosa Sonnenbrille holte und sich dadurch sofort einige Kommentare einfing: "Das sieht doch schwul aus!" Timon ärgern solche Situationen gleich doppelt: Zum einen deshalb, weil diese Bezeichnung immer noch häufig als Beleidigung verwendet wird. Zum anderen, weil dadurch das Klischee deutlich wird, dass schwule Männer automatisch als weiblich geltende Züge aufweisen. Nicht alle in Timons Umfeld wissen, dass auch er homosexuell ist. "Das kann ganz schön anstrengend sein", sagt er. Umso dankbarer ist der 18-Jährige, dass er mit dem Königsbrunner Jugendtreff "Queerspace" einen sicheren Raum gefunden hat, um sich über solche Erfahrungen austauschen zu können. Diese Gesprächsgruppe ist ein fester Anker für alle Jugendlichen der sogenannten LGTBQ-Szene.
"Wir sind bereits nach den ersten paar Treffen zu einer kleinen Familie geworden", sagt Shani. Der 15-Jährige ist einer der beiden Leiter des Jugendtreffs, der seit November jeden Freitagnachmittag im Jugendzentrum Matrix stattfindet. Die Anfänge von Queerspace gehen allerdings auf eine Schülerinitiative am Gymnasium Königsbrunn zurück. "Ich habe mich bereits in der sechsten Klasse viel mit sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität auseinandergesetzt", sagt Celina. Dabei wurde der Schülerin schnell bewusst: Nicht alle Jugendlichen haben wie sie das Glück, mit den Freunden oder der Familie offen über diese Themen sprechen zu können.
Die ersten Treffen fanden im Königsbrunner Gymnasium statt
Zu Beginn der Pandemie ging Celina, gemeinsam mit ihrer Freundin Franziska, mit ihrer Idee einer Gesprächsgruppe für queere Jugendliche auf die Sozialpädagogin der Schule zu. "Wir haben sofort wahnsinnig viel Unterstützung bekommen", ist Celina dankbar. Am liebsten erinnert sich die Ideengeberin an das allererste Gruppentreffen im Herbst 2020 zurück: ""Dass gleich an die 30 Leute gekommen sind, hat uns gezeigt, dass solch ein Angebot wirklich gefehlt hat."
Auch wenn das Projekt am Gymnasium startete, war es von Beginn an für alle Jugendlichen, unabhängig der Schulform, des Wohnorts und des Alters, geöffnet. "Im südlichen Landkreis sind wir die einzige Gruppe dieser Art", sagt Celina. Daher kommen die mittlerweile rund 20 Mitglieder im Alter von 15 bis 20 Jahren auch aus Haunstetten und Bobingen, einige sogar aus Mering und Pfersee.
Eins der ersten und wichtigsten Themen war das "innere und äußere Outing", wie Celina es nennt. Mit dem inneren Outing ist die Phase gemeint, in der man sich die eigene von der Norm abweichende Sexualität oder Geschlechtsidentität selbst eingesteht. Beim äußeren Outing wird diese Erkenntnis dem näheren Umfeld mitgeteilt. Wie durch die Erzählungen beim Queerspace deutlich wird, sind beide Formen für die Betroffenen auch im Jahr 2022 alles andere als leicht.
Einige Homosexuelle haben Angst vor einem sozialen Abstieg
Timon ist sich sicher, dass solch beiläufige "Schwulen-Witze" wie bei dem genannten Dorffest bei vielen Homosexuellen die Angst vor einem sozialen Abstieg schürt: "Ich habe schon oft mitbekommen, dass manche sogar homophobe Äußerungen reproduzieren, um bloß nicht als schwul enttarnt zu werden", sagt er. Noch mehr schockiert Timon, wie überdurchschnittlich hoch die Selbstmordrate bei Bisexuellen ist: "Besonders diese Menschen fühlen sich oft sehr zerrissen, weil ihnen die Gesellschaft vermittelt, dass man sich auf ein Geschlecht festzulegen hat." Generell wird das stereotypische Rasterdenken in Mann und Frau von der ganzen Gruppe als großes Problem betrachtet. "Es gibt noch so viel mehr als diese zwei Geschlechter", sagt Celina.
Auch Simon hatte in der Gründungsphase von Queerspace Angst davor, "was die anderen wohl sagen werden", wenn er zu den Treffen geht: "Am Anfang bin ich auch nur als moralische Unterstützung mit einer Freundin mitgegangen, weil ich es mir selbst noch gar nicht eingestehen konnte." Mittlerweile hat ihm die Gruppe sehr dabei geholfen, sich selbst zu akzeptieren. Während Simons Umfeld ihn überwiegend unterstützt, sah das bei Josh lange Zeit anders aus. Dem 20-Jährigen wurde bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen. Er ist gerade dabei, eine Geschlechtsumwandlung in die Wege zu leiten. "Einige Jahre hatte ich nur auf Internet-Plattformen ein männliches Profil, bis mich meine Freunde erpressen und damit an die Öffentlichkeit gehen wollten", berichtet er. Die Reaktionen verletzten Josh so sehr, dass er den Kontakt abbrach.
Viele Kommentare sind auf ein fehlendes Bewusstsein zurückzuführen
Die Mitglieder von Queerspace sind sich allerdings einig, dass viele Kommentare gar nicht böse gemeint, sondern auf fehlendes Bewusstsein oder Aufklärung zurückzuführen sind. "Eines unserer Ziele ist es, dass sexuelle und geschlechtliche Minderheiten stärker in der Schule behandelt werden", sagt Celina. Bislang könne man diese Themen nur optional wählen. Ein weiteres Anliegen ist den Jugendlichen, dass sie selbst - zum Beispiel in Workshops - über Stereotypen und Klischees aufklären.
Vielen der Jugendlichen ist zum Beispiel aufgefallen, dass die gängigen Vorurteile über Männer und Frauen auf homosexuelle Paare übertragen werden - so als ob es bei allen Paaren unbedingt einen weiblichen und männlichen Part geben muss. "Einige in meinem Umfeld haben genaue Vorstellungen, wie Schwule aussehen und wie sie sich verhalten, aber merken gar nicht, dass diese Stereotypen direkt neben ihnen widerlegt werden", sagt Timon und grinst. Denn wenn diese Vorstellungen stimmen würden, hätten sie längst bemerkt, dass auch einer ihrer Kumpels homosexuell ist.
Queerspace freut sich auf die Parade am Christopher Street Day in Augsburg
Momentan bereitet sich die Gruppe auf die Parade am Christopher Street Day, der in Augsburg am Samstag, den 18. Juni, gefeiert wird, vor. Dann laufen hunderte Menschen aus der sogenannten LGTBQ-Szene mit Regenbogenfahnen und Plakaten gemeinsam durch die Innenstadt, um für abweichende Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten einzustehen. "Es sind aber auch viele dabei, die sich schlichtweg mit der Szene solidarisch zeigen wollen", freut sich Celina.
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