Den Verlierern ist ein Sieg gelungen
Geduldig wartet das Zeitnehmer-Personal am Zieleinlauf. Über eine halbe Stunde ist schon vergangen, seit dem der Läufer der Siegerstaffel beim 7. Kuhsee-Triathlon über die Ziellinie gesprintet ist. 54:14 Minuten brauchten die drei Athleten für 500 Meter Schwimmen, 18 Kilometer Radfahren und fünf Kilometer Laufen. "Eine Staffel fehlt noch. 114 Staffeln haben gemeldet, 113 sind im Ziel", schreit Organisatorin Katja Mayer vom Lkw-Anhänger herunter, der als Organisationsbüro dient. Und endlich ist es soweit. Gerade als sich die Einzelstarter auf die Strecke machen, biegt Florian Appel (28) auf die Zielgerade ein. Genau nach 1:30:14 bleibt die elektronische Stopp-Uhr auch für die letzte Staffel 2006 stehen.
Von unserem Redakteur Robert Götz
Doch auch mit 40-minütiger Verspätung wird Appel mit großem Jubel empfangen. Denn für ihn war schon die Teilnahme am Kuhsee-Triathlon ein Sieg. Er ist psychisch krank und Patient des Bezirkskrankenhauses Augsburg. Genauso wie seine Staffelkollegin Angela Gottstein-Ostermair. Die 46-jährige Meringerin ist alkohol-süchtig. Die Fahrradstrecke absolvierte sie ohne Probleme. Allerdings hat sie sich auch etwas Zeit gelassen. "Wissen Sie am Auensee sind doch die Nudisten", sagt sie mit einem Augenzwinkern.
Punkt zehn Uhr war Andreas Baumeister als Schwimmer für die Staffel 1043 in den angenehm warmen Kuhsee gesprintet. Dabei hat der Fachkrankenpfleger eigentlich für das Laufen trainiert. "Aber bei der Einteilung der Staffel fehlte hier einer beim Schwimmen und dann habe ich es gemacht." Und Baumeister ist zufrieden: "ich habe nur einmal einen Fuß im Gesicht gehabt."
Denn der Ehrgeiz vieler Teilnehmer am Kuhsee-Triathlon ist groß. Zeiten und Platzierungen sind wichtig, für die Teilnehmer aus dem Bezirkskrankenhaus nicht. Vergangenes Jahr startete das Projekt. "Da waren wir mit sechs Staffeln und sechs Einzelteilnehmern am Start. Diesmal sind es zwölf Staffeln und zwei Einzelstarter", sagt Diplom-Psychologe und Initiator Ronald Kamm. Er betreut die Alkohol-Suchtstationen im BKH. Auch der 37-Jährige hat mitgemacht, auch er trägt das T-Shirt mit der Aufschrift "Laufen statt saufen". Seit März haben sich die Teilnehmer einmal die Woche zum Training getroffen. Meist wird rund um das BKH oder im Kobelwald gelaufen oder Rad gefahren. Für viele Patienten ist das wieder eine ganz neue Erfahrung. "Die Suchtkranken können beim Sport wieder ihren Körper spüren, das allgemeine Wohlbefinden steigert sich, sie können an und über ihre Grenzen gehen. Und sie merken, sie können etwas ohne Suchtmittel leisten. Ihr Selbstbewusstsein wird einfach gestärkt", sagt Oberärztin Dr. Claudia Botschev.
Dass der Sport bei der Therapie hilft ist unbestritten. Krankenpfleger Baumeister spürt das im eigenen Alltag: "Der Umgang mit den Patienten, die am Training teilnehmen oder auch hier starten ist viel lockerer. Die gemeinsame Erlebnisse verbinden, auch wenn die notwendige Distanz gewahrt bleibt."
Auf Distanz bleibt auch Florian Appel. Freundlich aber zurückhaltend beantwortet er alle Fragen. "Der Sport hilft die persönliche Isolation zu überwinden. Diese Situationen hier zu bewältigen ist eine große Leistung für Herrn Appel", sagt Oberärztin Botschev. Zumal es ihm in den letzten Wochen gesundheitlich nicht so gut ging. Er musste stationär behandelt werden und konnte nicht mehr trainieren. Doch er hat gestern durchgehalten, hat seinen inneren Schweinehund besiegt.
"Sport kann sehr viel bewirken", sagt auch der Leiter der Bezirkskrankenhäuser in Schwaben, Thomas Düll. Zusammen mit Professor Max Schmauss, dem ärztlichen Direktor des BKH und Oberarzt Doktor Thomas Reinertshofer bildete er die so genannte "Leitungsstaffel". Wie alle anderen BKH-Teilnehmer tragen sie auch das T-Shirt "Laufen statt saufen". Ihre Teilnahme hat die anderen Sportler angespornt. "Sie waren noch viel motivierter als sie gehört haben, wir machen auch mit", erzählt Düll. Und auch der Ehrgeiz von Angela Gottstein-Ostermair ist geweckt. Sie will auch 2007 wieder am Kuhsee starten: "Nächstes Jahr möchte ich wieder dabei sein, aber nicht mehr als Patientin."
Dann wäre Gottstein die wahre Siegerin, auch mit 40 Minuten Rückstand.
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