Aufstehen, "Anschwitzen", Spiel entscheiden
Es war einer dieser Momente, für die sich die tägliche schweißtreibende Arbeit im Training zweifelsohne lohnt. Exakt 53 Sekunden waren in der Verlängerung der NHL-Partie zwischen den Boston Bruins und Buffalo Sabres zu spielen, als der große Auftritt von Marco Sturm folgte.
Für die Nummer 16 war es die "Krönung" eines langen Arbeitstages, bei dem ihn unser Redakteur Dirk Sing begleitete:
Um Punkt acht Uhr klingelt auch an diesem 1. November - eigentlich wie an jedem anderen Tag - der Wecker im Schlafzimmer der Familie Sturm. Aufstehen, noch ein wenig mit den beiden Kindern spielen und anziehen. Mehr ist an diesem Morgen nicht drin, denn bereits eine Stunde später sitzt der deutsche Nationalstürmer hinter dem Lenkrad seines Wagens, um den Weg zum "TD Northbank Garden", der Spielstätte seiner Boston Bruins, zurückzulegen.
"Zum Glück sind es von meiner Wohnung bis zum Garden nur rund fünf Minuten. Das spart mir eine Menge Zeit", berichtet Sturm. Auf dem Parkplatz angekommen, geht es schnurstracks in Richtung Mannschaftskabine der Bruins, wo bereits die ersten Teamkollegen sitzen und sich ihr erstes oder zweites Frühstück schmecken lassen. Auch der gebürtige Dingolfinger entscheidet sich in Form eines Müslis und etwas Obst für einen kleinen Morgen-Imbiss. "Auch wenn wir am Vormittag vor einem Match nur etwas skaten und schießen, mit leerem Magen könnte ich nicht auf's Eis", erklärt Sturm und beginnt, seine Ausrüstung für den rund 30-minütigen "Aufgalopp" zu präparieren. Einfache Handgriffe, die der Star der Boston Bruins schon tausende Male in seiner Karriere getätigt hat und quasi im Schlaf beherrscht. Um kurz nach elf Uhr ist das "Anschwitzen", wie es Sturm nennt, bereits wieder vorbei. Raus aus den Klamotten und ab unter die Dusche. Schließlich steht im Teambereich des Gardens bereits das Mittagessen bereit. Ein großes Buffet mit Hühnchen, viel Nudeln und Salat wartet darauf, von der hungrigen Bruins-Meute verschlungen zu werden. Vor allem die Nudelgerichte sind sehr gefragt, "da sie den Kohlehydrat-Speicher auffüllen, was gerade bei körperlicher Belastung sehr wichtig ist" (Sturm).
Gegen 12.30 Uhr geht es dann wieder zurück in Richtung Wohnung, wo sich der Torjäger für die kommenden rund zwei Stunden nahezu völlig isoliert: "Ich lege mich nochmal aufs Ohr und schlafe ein wenig, um für den Abend Kraft zu tanken." Um die beiden Kinder kümmert sich in dieser Zeit Ehefrau Astrid, damit ihr Marco auch tatsächlich seine Ruhe hat.
Um Punkt 16 Uhr rollt der Wagen mit Marco Sturm am Steuer erneut in Richtung "TD Banknorth Garden". Auch diesmal dauert die kurze Fahrt trotz "Rush Hour" nicht viel länger als fünf Minuten. Getreu dem Motto "In der Ruhe liegt die Kraft" ist die Anspannung in der Kabine der Bruins langsam aber sicher zu spüren.
Während sich der eine Teil der Truppe mittlerweile auf dem Hometrainer auf "Betriebstemperatur" bringt, sich mit Seilspringen oder sogar Fußballspielen aufwärmt, beschäftigt sich ein anderer Teil mit seiner Ausrüstung. Mittlerweile ist auch Headcoach Claude Julien eingetroffen und hält mit seinen Schützlingen hin und wieder einen "Smalltalk". Exakt eine Stunde vor dem Eröffnungsbully ist es jedoch mit der Gelassenheit endgültig vorbei. In seiner letzten Teambesprechung weist Julien nochmals kurz und knapp, aber präzise auf die Stärken und Schwächen des heutigen Kontrahenten aus Buffalo hin. Große Überraschungen gibt es dabei nicht. "Wir spielen während der Punktrunde insgesamt achtmal gegeneinander. Etwaige Geheimnisse gibt es da nicht mehr", so Sturm.
Knapp zehn Minuten dauert der Monolog des neuen Bruins-Coaches, der bei seiner Truppe ein "sehr hohes Ansehen" (Sturm) genießt. Um Punkt 18.30 Uhr geht die Tür zur Eisfläche des "TD Banknorth Garden" unter dem Jubel der noch spärlich anwesenden Fans für die bereits mit den "Hufen", oder besser gesagt Schlittschuhen, scharrenden Bruins-Akteure zum "Warm up" auf. Rund 20 Minuten dauert die Prozedur, ehe es zur letzten Eisbereitung vor dem Match gegen die Sabres nochmals zurück in die Kabine geht. Sturm, der heute zusammen mit Chuck Kobasew und Phil Kessel nicht nur eine Sturmreihe bildet, sondern auch zu den "Starting Six" zählt, ist nun völlig in sich gekehrt. Die letzten Handgriffe wie in Trance.
Um 19.07 Uhr ist es soweit: Nach der obligatorischen Nationalhymne sowie der Huldigung der Boston Red Sox (gewannen vor wenigen Tagen die "World Series" im Baseball) erfolgt das Eröffnungsbully. Beide Teams beschränken sich in den ersten 20 Minuten darauf, ihren Kasten sauber zu halten, Torchancen sind absolute Mangelware. Auch Marco Sturm tut sich schwer, im dichten Buffalo-Bollwerk eine Lücke zu finden. Insgesamt sechs Minuten und neun Sekunden verbringt der Deutsche im ersten Drittel auf dem Eis, zu einem Treffer reicht es allerdings (noch) nicht. "Ihr müsst weiter geduldig auf euere Möglichkeiten warten und dürft nichts erzwingen. Habt Vertrauen, wir machen schon noch unser Tor", spricht Bruins-Coach Claude Julien seinem Team nach dem torlosen Auftakt in der Pause Mut zu.
Und siehe da, es dauert lediglich 127 Sekunden, bis der Puck zum ersten Mal hinter Buffalo-Goalie Ryan Miller im Netz zappelt - Torschütze war Glen Metropolit in Überzahl. Rund fünf Zeigerumdrehungen später kommt der erste große Auftritt von Marco Sturm an diesem Abend: Mit einem tollen Zuspiel bringt er Phil Kessen in Position, der auf 2:0 erhöht (28.).
Alles scheint für die Hausherren zu laufen - bis Maxim Afinogenov auf 1:2 verkürzt (38.). "Jungs", muntert Julien seine Schützlinge in der zweiten Drittelpause auf, "wir spielen weiter voll auf Sieg. Wir lassen den Sabres überhaupt keine Chance, uns unter Druck zu setzen! Denkt überhaupt nicht über eine Niederlage nach, sondern macht genau das, was uns in den ersten zwei Dritteln stark gemacht und uns die Führung gebracht hat". Ein Vorhaben, das jedoch nur halbwegs gelingt. Nachdem Marc Savard (44.) für die Bruins sowie Brian Campbell (43.) und Paul Gaustad (49.) im Schlussdrittel noch ins Schwarze getroffen haben, heißt es für die erschöpften Akteure noch "Überstunden" einlegen. Verlängerung, und das bei "Vier gegen Vier".
Schnelle und läuferisch starke Spieler, die möglichst den Unterschied ausmachen, sind während diesen fünf Minuten gefragt - eben solche wie Marco Sturm. Und der Ex-Panther ist es auch, der quasi mit einer "Ingolstädter Kombination" (Aaron Ward hatte die Scheibe aufs Tor gebracht und Sturm entsprechend abgefälscht) den zweiten Punkt für Boston unter Dach und Fach bringt.
"Klar ist bei solch einer Aktion immer Glück dabei", diktiert Marco den Reportern, die sich vor seinem Spind in der Mannschaftskabine aufgebaut haben, in die Blöcke. Hier noch ein kurzes Radio-, dort noch ein Fernseh-Interview, ehe es erst unter die (verdiente) Dusche und dann noch ans Teambuffet im Nebenraum geht.
Vor dem "Locker Room" warten bereits Ehefrau Astrid und Sohn Mason auf ihren Vater, der sie schließlich -in Hemd und Krawatte - mit einem breiten Grinsen empfängt. Um 22.35 Uhr verlässt der Star der Boston Bruins mit seiner Familie den Parkplatz und fährt mit dem Wagen zurück in Richtung Wohnung - mit zwei Punkten, dem Siegtreffer, schweren Beinen sowie einem (wieder einmal) anstrengenden 14 Stunden-Tag im Gepäck.
Die Diskussion ist geschlossen.