Jentzsch: „Es zählt nur der Verein“
Simon Jentzsch erzählt, warum er für den FC Augsburg seinen Finger ruiniert hat. Heute um 20.30 Uhr gegen Nürnberg wird er wieder nur auf der Bank sitzen.
Die wichtigste Frage gleich zu Beginn: wie geht es Ihrem rechten Ringfinger?
Jentzsch : Dem Finger geht es ganz gut. Letztendlich wird es aber nicht mehr optimal werden. Zum Glück ist die nasse Kälte vorerst vorbei.
Warum?
Jentzsch: Ich tape den Ringfinger an den Mittelfinger, und darum wird er weniger durchblutet. Da ist es blöd, wenn du schon nach fünf Minuten Training das Gefühl hast, der Finger ist eingefroren.
Was ist im Oktober 2011 beim Spiel in Mainz passiert?
Jentzsch: Ich habe einen Schuss abgewehrt. Dabei wurde der Finger zwischen Ball und Latte eingequetscht. Die palmare Platte (Anm. d. Red., Verstärkung des mittleren Fingergelenks an der Handflächeninnenseite) ist gebrochen. Das war schwer zu operieren. Der Bruch wurde mit drei Schrauben fixiert. Ich hätte dem Finger zwei, drei Monate Zeit ohne Belastung geben müssen.
Und wann haben Sie wieder gespielt?
Jentzsch: Nach fünf, sechs Wochen.
Warum?
Jentzsch: Es waren wichtige Tage für uns. Wir hatten die Chance, wieder ranzukommen. Darum wollte ich so schnell wie möglich wieder spielen. Auch mein Alter hat eine Rolle gespielt. Ich wusste, dass ich nicht mehr so viele Jahre Bundesliga spielen werde. Darum die Entscheidung: alles oder nichts. Ich bereue es auch nicht.
Sie waren danach nie richtig fit?
Jentzsch: Ich habe mit Spritzen gespielt, musste immer Rücksicht nehmen auf den Finger. Und irgendwann ist eine der drei Schrauben, die die Platte fixiert hatten, in das Gelenk gerutscht. Das war vom Schmerz her zu ertragen. Aber vom Kopf her konnte ich das nicht mehr regeln.
Sie mussten operiert werden ...
Jentzsch: In der Vorrunde, nach dem Dortmund-Spiel, ging es nicht mehr. Die OP war nicht schlimm, aber der Finger ist sehr vernarbt. Darum kann ich ihn kaum mehr abbiegen.
Behindert Sie das im Alltag?
Jentzsch: Ich kann nur noch kurze Sätze schreiben. Bei längeren Sachen nehme ich den Computer. Es ist ein kleines Handicap, aber nicht so, dass ich groß beeinflusst werde.
Nach der Winterpause wollten Sie wieder angreifen. Es hat nicht geklappt?
Jentzsch: Kaputt ist kaputt. Ich bin seit Anfang Januar wieder voll dabei. Die zwei Wochen waren aber zu wenig. Es waren einfach noch zu viele Bälle, bei denen ich vom Kopf her nicht mit 100 Prozent hingegangen bin. Das Risiko ist einfach zu groß gewesen, mich mit 60 oder 70 Prozent ins Tor zu lassen. Da habe ich ein Gespräch mit dem Trainer und dem neuen Manager geführt. Die beiden anderen Torhüter haben einfach besser trainiert als ich.
Ist der Frust groß?
Jentzsch: Nein, ich komme klar mit der Situation. Ich bin begeistert von Alex (Manninger) und Mo (Amsif). Besonders wie Mo am Wochenende in Bremen gehalten hat.
Wie groß ist die Chance auf eine Rückkehr ins Tor?
Jentzsch: Das weiß ich nicht. Man soll niemals nie sagen. Aber ich denke . . . (sein Handy vibriert)
Jentzsch: Michael Wiesinger ruft an. (Er drückt den Anrufer weg)
Der Club-Trainer?
Jentzsch: Ja. Wir haben fast drei Jahre zusammen bei den Löwen gespielt. Er ist einer meiner besten Spezis. Der Kontakt ist nie abgebrochen, aber vor dem Spiel möchte ich nicht viel mit ihm reden, weil er wohl nur Sachen ausspionieren möchte, die ich ihm aber nicht erzählen werde (lacht). Er bekommt die Infos und die drei Punkte nicht. Wo waren wir stehen geblieben?
Wir waren bei einer möglichen Rückkehr ins Tor . . .
Jentzsch: Ich werde im Mai 37. Alex ist super reingekommen, Mo ist sehr sicher gestanden. Es geht nicht um mich, sondern um den FCA. Das ist das alles Entscheidende.
Im Juni läuft Ihr Vertrag aus. Wie sieht Ihre Zukunft aus?
Jentzsch: Ich bin völlig offen. Natürlich mache ich mir Gedanken. Ich hab schon ein, zwei Gespräche geführt. Das hat nicht unbedingt was mit Fußball zu tun. Aber es ist noch nichts spruchreif. Ich könnte nebenher meinen Trainerschein machen. Aber vielleicht bekomme ich noch ein Angebot. Vielleicht hänge ich noch ein Jahr dran. Ich will nichts ausschließen.
Vielleicht vom FCA?
Jentzsch: Da gab es noch keine Gespräche. In dieser Phase ist es auch schwer für den Verein, sich dazu zu äußern.
Sie klingen sehr entspannt . . .
Jentzsch: Ich habe den großen Vorteil, dass ich mich nach der Geschichte in Wolfsburg schon mit dem Karriere-Ende beschäftigen musste. Dann bin ich nach Augsburg gekommen. Es war für beide Seiten eine Win-win-Situation.
Finanziell sind Sie unabhängig, oder?
Jentzsch: Zumindest brauche ich nicht sagen, ich muss sofort das und das machen.
Zurück zum FCA. Erklären Sie, was in der Winterpause passiert ist.
Jentzsch: Wir haben im Trainingslager in der Türkei Klartext geredet. Wir hatten zwei Möglichkeiten. Wir machen so weiter. Ich denke, in der Hinrunde hat uns der letzte Wille gefehlt, das Spiel zu gewinnen oder das Tor zu verteidigen. Oder wir reißen uns am Riemen und machen zwei, drei Schritte mehr.
Wie viel Anteil hat der neue Manager Stefan Reuter am Aufschwung?
Jentzsch: Er passt nach Augsburg. Er ist menschlich, hat aber eine klare Linie und Vorstellung. Das Wichtigste für einen Spieler ist es, zu wissen, dass der Trainer und der Manager auf einer Linie sind. Dass sie die Richtung vorgeben und wir die Sachen auszuführen haben.
Wie hat sich der Trainer verändert?
Jentzsch: Er hat von Anfang an akribisch gearbeitet. Er hatte von Beginn an eine korrekte Linie. Jetzt fährt er sie nur noch konsequenter. Entscheidend war aber, dass sich jeder an die eigene Nase gepackt hat und gesagt hat: Das kann es nicht gewesen sein, was wir in der Vorrunde gespielt haben.
Was hat sich in der Mannschaft geändert? Es wurden Spieler weggeschickt, öffentlich diszipliniert . . .
Jentzsch: Während meiner Zeit beim VfL Wolfsburg bestand die ganze Mannschaft nur aus Grüppchen. Das ist hier in Augsburg überhaupt nicht der Fall. Bei uns gibt es in der Mannschaft keinen, der über sich denken kann, er ist etwas Besseres. Bei uns ist jeder ersetzbar. Nach der Hinrunde ist uns das noch bewusster geworden. Dass wir noch enger zusammenrücken müssen, egal ob man spielt oder auf der Tribüne sitzt. Es zählt nur der Verein, der Einzelne interessiert nicht.
Was ist in der Rückrunde vom FCA noch zu erwarten?
Jentzsch: Wir dürfen jetzt nicht sagen: Toll, wir haben jetzt zwei Spiele hintereinander gewonnen. Wir müssen weiter von Spiel zu Spiel denken. Am Freitag müssen wir versuchen, Nürnberg mit einem Sieg mit hinten reinzuziehen.
Wird der FCA die Liga halten?
Jentzsch: Zumindest ist es unsere Verpflichtung bis zum letzten Atemzug daran zu glauben, auch wenn wir in die Relegation müssen. Solange es möglich ist, auf Platz 15 zu schielen, müssen wir versuchen, dieses zweite Wunder zu verwirklichen.
Sie haben schon einige Stationen in Ihrer Karriere erlebt. Was macht den FCA für Sie so besonders?
Jentzsch: Das wichtigste Gut ist die positive Grundstimmung in der Stadt. Bei den Medien, bei den Fans. Die Zuschauer haben in der Vorrunde nie gepfiffen. Dieses Gut sollten alle Beteiligten behalten.
Realisieren Sie schon, dass Ihre Karriere langsam zu Ende geht?
Jentzsch: Nach 18 Profi-Jahren ist das Ende absehbar. Ich hatte einige Tiefpunkte, wie in Wolfsburg. Aber es gibt keine perfekte Karriere. Entscheidend ist es, wieder aufzustehen. Nach Wolfsburg hat keiner mehr an mich geglaubt, außer mein Berater und ich. Ich bin froh, dass ich den Schritt nach Augsburg gemacht habe. Ich habe es keine Sekunde bereut. Ich weiß aber auch, dass die anderen Torhüter mir momentan einen Schritt voraus sind. Wenn es so sein müsste, dass ich aufhören muss, kann ich trotzdem in den Spiegel schauen.
Wo werden Sie dann Ihren Lebensmittelpunkt haben?
Jentzsch: Meine Familie und ich fühlen uns hier im Süden sehr wohl. Darum werde ich wohl nicht mehr in den Westen zurückgehen. Durch meine Zeit beim KSC, bei den Löwen und jetzt beim FCA bin ich ein südlicher Typ geworden. Ich bin gerne in den Bergen. Die Lebensqualität ist hier sehr, sehr hoch. Ich genieße jedes Training. Von welchem Trainingsplatz kann man denn, wenn mal kein Ball aufs Tor kommt, kurz auf die Alpen schauen, wenn es Föhn hat?
Das Interview führte Robert Götz.
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