"Hier ist ja richtig erste Welt"
Alexander Keßel ist Entwicklungshelfer in einem entlegenen Dorf in Sambia. Für ihn war die Reise zum Spiel der deutschen Elf nach Johannesburg fast so etwas wie ein Kulturschock. Von Oliver Berger
Vom 3000-Seelen-Dorf Chikorra ins 90 000 Zuschauer fassende Soccer City Stadion von Johannesburg: Nach acht Monaten Entwicklungshilfe-Arbeit in einem entlegenen Dorf in Sambia hat Alexander Keßel aus dem westfälischen Gevelsberg selbst ein bisschen Entwicklungshilfe nötig, um sich beim Spiel der deutschen Elf gegen Ghana unter so vielen Landsleuten wieder zurechtzufinden.
"Mann, ist das cool hier", entfährt es dem 23-Jährigen mehrfach, als er über seine Arbeit bei "Weltwärts" berichten will, einer Organisation, die über den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit verzahnt ist.
Cool heißt: Laute Musik, Lichterspiele, gekühltes Bier, vertraute Sprache - denn Soccer City war am Mittwochabend fest in deutschen Händen. In diesem Moment war Sambia, die Provinzhauptstadt Chipate und das Provinznest Chikorra für Alexander Keßel weit mehr als die 1500 Flugkilometer entfernt, die er zusammen mit seinen Kumpels aus Stuttgart, Tübingen und Wuppertal zurückgelegt hatte, um nach Johannesburg zu kommen. "Hier ist ja richtig erste Welt!", entfährt es ihm. Erste Welt, im Unterschied zur "Dritte-Welt-Situation", wie er sie in Sambia kennengelernt hat.
Sosehr hat ihn nach achtmonatiger Entwicklungshilfe-Arbeit in der Ostprovinz von Sambia der Kulturschock zugesetzt, "dass wir erst einmal wieder raus aus Johannesburg geflüchtet und in die Drakensberge gefahren sind".
Zwei Tage später war das Verlangen, das Spiel der deutschen Mannschaft sehen zu wollen, allerdings so groß, dass sich der gelernte Krankenpfleger und seine Freunde wieder zurück in den Moloch der Großstadt begaben - und sie es sich zwei Stunden vor Anpfiff der Partie im Trubel der Fans gut gehen lassen. Einige Tickets hatten sie sich vorab im Internet organisiert, das letzte noch fehlende vor den Stadientoren gekauft.
Alexander Keßel hat sich sein Gesicht in den Farben Schwarz, Rot und Gold angemalt. Sehnsucht nach Deutschland? "Wenn ich hier fertig bin, will ich Sozialarbeit studieren und mit meiner Freundin zusammenziehen", sagt er.
Im Moment ist das Bedürfnis, die deutsche Mannschaft zu sehen, aber größer. "Ich habe in den letzten Monaten jedes Wochenende gearbeitet, um mir diesen zusätzlichen Urlaub zu ermöglichen", sagt er. Herausgekommen sind dabei sechs freie Tage.
Weil Zeit ein seltenes Gut und Geld für einen freiwilligen Entwicklungshelfer wie Alexander Keßel noch viel knapper ist, zwängt er sich gleich nach dem Ghana-Spiel in den Überlandbus, um sich so etwas wie einen Kindheitstraum zu erfüllen: "Einmal den Tafelberg sehen."
Dafür fährt er knapp 14 Stunden nach Kapstadt, wird dort aber die deutsche Mannschaft nicht weiter persönlich unterstützen können, denn die tritt am Sonntag in Bloemfontein zum Achtelfinale gegen England an.
Alexander Keßel wird da bereits wieder Aids-Waisen oder durch die Immunschwäche-Krankheit mutterlos gewordenen Familien zeigen, wie sie sich mit dem bisschen, was der Boden in Ostsambia hergibt, ausgewogen ernähren können.
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