Blaichach: Ein Wasserkraftwerk wird 100
Seit 100 Jahren versorgt ein Wasserkraftwerk die Maschinen einer Fabrik in der Oberallgäuer Gemeinde Blaichach mit Starkstrom. Pünktlich zum Jubiläum haben die tonnenschweren Turbinen ausgedient.
Der Automobilzulieferer Bosch baut für 7,3 Millionen Euro ein neues Kraftwerk. Strom aus regenerativer Energie rechnet sich wie zu Großvaters Zeiten. In zehn Jahren soll sich die Investition für Bosch rentiert haben. Wenn die Strompreise weiter so drastisch steigen sogar noch früher.
Auf dem pechschwarzen Turbinen-Ungetüm stechen der Name der Herstellerfirma aus Kriens in der Schweiz und die Jahreszahl 1907 in weißer Farbe hervor. "Einen Namen hat sie nicht. Nur unser Chef nennt sie gelegentlich Good Old Lady", sagt Peter Kempter, der das Bosch-Kraftwerk in Blaichach seit 22 Jahren betreut. Um die "gute alte Dame" in Schwung zu bringen, muss Kempter lange kurbeln. Mit einem schweren, gusseisernen Rad öffnet er eine Wasserdüse, bis die Hydraulik unter Druck steht und die Pelton-Turbine reguliert.
Die kleineren und jüngeren Schwestern nebenan lassen sich bereits automatisch anfahren und steuern. Die Anlagen erzeugen insgesamt über neun Millionen Kilowattstunden pro Jahr. Damit könnte man 2500 Haushalte versorgen. Für das Unternehmen ist es die Hälfte des Stroms, der im Werk Blaichach benötigt wird.
Die Wasserkraft der Gundesrieder Ach, die im Ort schlicht Schwarzenbach genannt wird, trieb bereits im 17. Jahrhundert die Industrialisierung voran. Schaufelräder setzten Mahlsteine und Holzsägen in Bewegung. Rund um Mühle und Säge siedelten sich eine Eisenschmelze und Glashütten an. Seit 1850 nutzte die Mechanische Baumwollspinnerei die Energie des Schwarzenbachs zum Antrieb von Spinnrädern und Webstühlen. Mit Wellen und Transmissionsriemen wurde die Wasserkraft bis an die Maschinen im sechsten Stock des Fabrikgebäudes geleitet.
Als die Spinnerei in der Blüte der Textilindustrie im Allgäu den Standort ausweitete und eine neue Maschinenhalle baute, entstand auch das Kraftwerk mit der Schweizer Turbine, die ab 1907 genügend Kraftstrom lieferte, um alle Anlagen mit Energie zu versorgen. 1960 übernahm der Stuttgarter Automobilzulieferer Bosch die Baumwollspinnerei in Blaichach, um zunächst Zündverteiler zu produzieren. Inzwischen fertigt das Unternehmen dort Sensoren für die Motorsteuerung.
Nach einem Hochwasserschaden 2005 musste ein Teil des 1160 Meter langen Druckrohrs vom 100 Jahre alten Speichersee im Ortsteil Gunzesried hinab nach Blaichach erneuert werden. "Aber zwei Schwachstellen sind erhalten geblieben", sagt Reinhold Speiser, der zuständige Abteilungsleiter im Werk. Der restliche Teil des Druckrohrs und vor allem das uralte Fundament des Kraftwerks samt Leitungssystem bergen seiner Ansicht nach Risiken, die einer effektiveren Nutzung der Wasserkraft im Wege stehen.
Bosch-Konzernchef Franz Fehrenbach, Deutschlands "Öko-Manager 2006", hat deshalb vor kurzem entschieden, die Anlage neu zu bauen, und zwar mit einer deutlich erhöhten Leistung. Ab 2010 soll das neue Kraftwerk 80 Prozent des Strombedarfs im Werk liefern. "Es wird eines der größten und leistungsstärksten Wasserkraftwerke in Südbayern", sagt Speiser.
Zumindest bis dahin sind Peter Kempter und sein Kollege Karl-Heinz Epp im Bosch-Werk Blaichach unentbehrlich. Die beiden Elektriker sind nicht nur die einzigen, die die "Good Old Lady" von Hand anfahren können. Sie beherrschen auch den diffizilen Prozess der Einspeisung in das öffentliche Stromnetz. "Wenn die Phasen des Wechselstroms beim Zuschalten nicht haargenau übereinstimmen, sind im schlimmsten Fall unsere Turbinen kaputt und im halben Oberallgäu fällt das Licht aus", sagt der Abteilungsleiter. Einleitung ins Netz und Rückkauf rechnen sich für Bosch. Wenn die Strompreise weiter steigen, genügt der Umbau einer Leitung und das Unternehmen könnte die Öko-Energie auch gleich selbst nutzen, so Speiser.
Selbst nach dem Neubau des Kraftwerks wird die 100 Jahre alte Turbine nicht den Weg auf den Schrottplatz antreten müssen. Die Gemeinde Blaichach hat Interesse, zusammen mit Bosch einen Themenweg anzulegen. Er soll die alten Zeugnisse der industriellen Erschließung zwischen dem Illertal und dem Bergdorf Gunzesried zugänglich machen. Speiser: "Am Schwarzenbach gab es früher eine Vielzahl von kleinen Wasserkraftwerken. Unsere Vorväter waren so einfallsreich, dass man sich heute fragt, warum die Brotzeithütte am Wegesrand seit Menschengedenken ausgerechnet Alpe Depp heißt."
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