Experten zeichnen düstere Szenarien
An den Börsen haben dramatische Verluste die Anleger zum Wochenbeginn geschockt. Jetzt spekulieren Finanzexperten, welche Auswirkungen zu erwarten sind.
Berlin (ddp.djn). Experten von Wirtschaftsinstituten und Finanzunternehmen geben ihre Prognosen zu den Auswirkungen der Kreditkrise in den USA ab.
Der Chefvolkswirt des Allianzkonzerns, Michael Heise, sagte am Dienstag, er erwarte eine tiefgreifende Neustrukturierung des Finanzsystems. Das Essener Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) sagte für den Fall eines weiter hohen Eurokurses einen Arbeitsplatzabbau in der Industrie voraus. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, rechnete mit einer Krise bis Ende 2009. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Jürgen Thumann, warnte vor den Folgen für die Konjunktur.
Die jüngsten Auswirkungen der Finanzmarktkrise in den USA hatten die weltweite Talfahrt der Aktienmärkte am Montag noch einmal beschleunigt. In Deutschland gab der Börsenleitindex DAX um mehr als vier Prozent nach, allerdings auch unter dem Eindruck einer Gewinnwarnung von Siemens. Der Euro überschritt erstmals die Marke von 1,59 Dollar. Der Ölpreis erreichte ein Rekordhoch bei 111,42 Dollar pro Barrel (159 Liter). Der Goldpreis kletterte auf 1032,35 Dollar per Feinunze (31,1 Gramm).
Heise sagte unter Verweis auf den Notverkauf des schwer angeschlagenen US-Investmenthauses Bear Stearns: "Wir müssen damit rechnen, dass eine nachhaltige Bereinigung und Konsolidierung im Finanzsystem stattfindet." Eine solche Korrektur sei notwendig. "Es wird zur Rückabwicklung vor allem spekulativer, kreditfinanzierter Investments kommen", sagte Heise voraus. "Die Kredithebel, die im Finanzsystem in den letzten Jahren entstanden sind, werden gewaltig zurückgefahren." Heise bewertete das Vorgehen der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) als richtig. "Die Fed hat klare Signale gesetzt, dass sie keine Situation entstehen lassen will, bei der aus einer Vertrauenskrise eine Panik wird", sagte er. Solange die Unsicherheit groß sei, werde es schwer, die Probleme nur mittels der Geldpolitik zu meistern. Um die Krise zu bewältigen, sei es wichtig, dass staatlich koordiniert eine Auffangregelung bezüglich der zweitklassigen US-Immobilienkredite gefunden wird, möglichst ohne Einsatz von Steuermitteln
RWI-Konjunkturchef Roland Döhrn sagte: "Wenn sich die Wechselkurse nicht bald wieder dramatisch ändern, kann man davon ausgehen, dass in der Industrie wieder Entlassungen oder Betriebsverlagerungen drohen." Im Moment lebten die Firmen noch von vollen Auftragsbüchern. Allerdings sei es jetzt schwierig, neue Aufträge einzuwerben. Forderungen nach einer Zinssenkung der Europäischen Zentralbank beurteilte Döhrn skeptisch. "Es könnte sein, dass die Zinssenkung verpufft, weil die Banken das billige Geld nutzen könnten, um ihre Gewinne aufzubessern, statt es an die Kunden weiterzugeben", warnte er.
Thumann sagte: "Es ist die Gemengelage von Dollarschwäche, steigenden Ölpreisen, nachlassender US-Konjunktur und Finanzkrise, die den Firmen zunehmend zu schaffen macht." Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen leide insbesondere im Maschinenbau, in der Automobilindustrie und in der Luft- und Raumfahrt. "Die Erträge geraten unter Druck", beklagte er. Von der Europäischen Zentralbank erwarte der BDI kaum Entlastung. "Der EZB sind wegen der gestiegenen Preisrisiken die Hände gebunden", sagte er. Man müsse daher alles vermeiden, was die Inflation anheize. Hier seien auch Tarifpartner und Politik in der Verantwortung.
Walter sagte: "Wir brauchen die Neuordnung und eine Neubesinnung auch bei den Regulatoren der Finanzmärkte", fügte er hinzu. Die Hoffnung auf ein Ende der Finanzkrise sei verfrüht gewesen.
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