Deutschland - die Minijob-Republik
In Deutschland sinken die Arbeitslosenzahlen. Doch immer mehr Menschen sind nur geringfügig beschäftigt. Die Gewerkschaften warnen.
Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft hält länger an als erwartet, die Arbeitslosenzahl sinkt, nur mehr 3,21 Millionen waren zuletzt im März ohne Arbeit. Alles gut auf dem Arbeitsmarkt? „Überhaupt nicht“, antwortet Michaela Rosenberger, Vizechefin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), auf diese Frage unserer Zeitung. Grund sei die starke Zunahme der Minijobs. Deren Zahl sei in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Das bestätigen auch die Daten der Bundesagentur für Arbeit: Ende September 2010 hatten 7,3 Millionen Menschen eine 400-Euro-Stelle, das sind 1,6 Millionen oder 27 Prozent mehr als 2003.
Rosenberger sieht darin ein „enormes Problem“. Im Hotel- und Gaststättengewerbe sei mittlerweile jeder Zweite ein Minijobber. Auch im Handel, im Gesundheitswesen und der Logistikbranche nimmt die Zahl der geringfügig Beschäftigten weiter zu. Für sie heißt das: Immer mehr Menschen arbeiten in einem Minijob ohne soziale Absicherung (siehe Infokasten). Oft bekämen die Betroffenen trotz anderslautender gesetzlicher Vorgaben kein Urlaubsgeld oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Doch auch der Staat hätte im Grunde ein Problem mit den vielen Minijobbern, beteuert die Gewerkschafterin. Nicht nur dem Finanzminister fehle Geld, insbesondere die Sozialkassen litten unter mangelnden Einnahmen aufgrund der beitragsfreien Minijobs.
Ihren eigentlichen Zweck würden sie indes nicht erfüllen. Nur wenigen dieser Beschäftigten gelänge es Studien zufolge, einen vollwertigen Arbeitsplatz zu ergattern. Rosenberger spricht vom „Klebeeffekt“. Im Gegenteil: „Die Arbeitgeber kalkulieren mit den Minijobbern, sie sind gewollt, weil man als Unternehmen mit ihnen flexibler ist.“
Rosenberger fordert Mindestlöhne für alle Branchen. Dadurch würden ihrer Meinung nach viele Minijobs überflüssig. „Nehmen Sie doch eine Bäckereiverkäuferin, die verdient mancherorts nur vier bis fünf Euro pro Stunde, wenn man die tatsächliche Arbeitszeit auf die 400 Euro umlegt. Vor allem für Frauen haben sich durch die Aufteilung von Arbeitsplätzen in Minijobs die Eingliederungschancen verschlechtert.
Jörg Hinze vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut beurteilt die Lage weniger dramatisch. Der Volkswirt hält zunächst einmal die Zahl für „überzogen“. Denn viele kleinere Unternehmen würden die Möglichkeit nutzen, um ihre Familienangehörigen auf diese Weise offiziell zu beschäftigen. Andererseits hätten Minijobs gerade für schlecht oder nicht qualifizierte Langzeitarbeitslose überhaupt erst die Möglichkeit geboten, einen Arbeitsplatz zu finden. Ob Deutschland mittlerweile zu viele geringfügig Beschäftigte hat, will sich Hinze nicht festlegen. Auch er sieht aber „vor allem Probleme bei den Sozialkassen“. Ob Kranken-, Renten- oder Pflegeversicherung, in allen Bereichen fehle nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Minijobber Geld.
Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) kritisierte die aktuelle Regelung mit der Begründung, für Hartz-IV-Empfänger sei es attraktiv, die Leistung mit einem geringen, legalen Zuverdienst aufzubessern, anstatt sich einen Vollzeitjob zu suchen. Darauf wies auch der Verband „Der Familienunternehmer“ hin. Er forderte die Bundesregierung auf, falsche Anreize zu beseitigen.
Die Parteichefin der Linken, Gesine Lötzsch, erklärte, Rot-Grün und auch Schwarz-Gelb hätten die Minijobs als „Erfolgsmodell der Agenda 2010“ gepriesen, Deutschland damit aber europaweit zum Niedriglohnland gestempelt. Das wirksamste Mittel gegen Lohndumping sei ein Mindestlohn von zehn Euro die Stunde. (mit dpa)
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