Das "unechte Lächeln" verbreitet sich rasant
Prostituierte müssen es tun, aber auch immer mehr Lehrer und Ärzte. Gute Laune ist in der Welt der Dienstleistungen gefragt. Allerdings droht sich der Mensch in der falschen Freundlichkeit zu verlieren. Von Roland Mischke
Von Roland Mischke
Bei Anruf: Service. "Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?", sagt die Call-Center-Mitarbeiterin am anderen Ende der Leitung überaus freundlich. Eine Selbstverständlichkeit - und doch eine Folge sozioökonomischen Wandels. Diesen Ansatz vertritt zumindest Peter Winterhoff-Spurk, Psychologieprofessor an der Uni Saarbrücken.
Mit dem Wandel kann ein "neuer Sozialcharakter" enstehen. Damit sind Gefühle, Denk- und Verhaltensweisen der Allgemeinheit gemeint. Für das Heute heißt das: Nach der Phase des Narzissmus, die in der New Economy Ausdruck fand, ist die Phase der Simulation angebrochen: Es gibt immer mehr Dienstleistungen, in denen "Gefühlsarbeit" gefragt ist. Hatten früher nur Prostituierte eine Lust vorzutäuschen, müssen es heute auch Verkäufer, Schalterpersonal, Call-Center-Mitarbeiter, sogar Lehrer, Professoren, Ärzte und Beamte tun.
Das "unechte Lächeln" verbreitet sich rasend; die falsche Freundlichkeit wird durchschaut und doch gewünscht; der allgegenwärtige Kommerz verbiegt Menschen. "Die Hure verkauft im Allgemeinen nur die zeitweise Nutzung intimer Teile ihres Körpers, der Gefühlsarbeiter hingegen verkauft zentrale Teile seines Selbst", so Winterhoff-Spurk. Die Folgen seien gravierend: Der Mensch verliert sich, wenn er sich der verordneten Gefühlsarbeit hingibt. Aber er muss sich hingeben, sonst gefährdet oder verliert er seinen Job.
An vielen Beispielen und Trends wird die Analyse erläutert: Die Medialisierung der Gesellschaft erzeugt Nachahmer-Massen; der Einzelne und seine Originalität bleiben auf der Strecke. Charakter ist keine Frage des Charakters mehr, sondern der Selbstdarstellung. Wer Karriere anstrebt, lässt sich coachen, um geschmeidiger in der Anpassung zu werden. Das macht Arbeitnehmer und auch Manager bis in die höchste Geschäftsetage zunehmend austauschbar. Aber das tut der Seele weh. Es schadet Partnerschaften und treibt die Quote psychischer Erkrankungen und Scheidungen steil nach oben. "Schleichend", so Winterhoff-Spurk, verändere sich das soziale Klima.
"Wozu das Ganze?", fragt der Autor und versucht sich an einer Hauptantwort: "Es muss ein anderes Verhältnis zur Arbeit her." Für ihn bleibt sie "noch auf lange Sicht eine Kerndimension menschlichen Lebens". Sie darf aber nicht als Ich-Aktie und Shareholder Value eng geführt werden. "Unternehmen müssen so gebaut sein, dass die Bedürfnisse aller in ihnen und mit ihnen tätigen Menschen dauerhaft befriedigt werden." Es fehlt am Wissen, durch Arbeit "letztlich auch der Zivilisierung der Welt" zugutezukommen.
Peter Winterhoff-Spurk: "Unternehmen Babylon. Wie die Globalisierung die Seele gefährdet", Klett-Cotta, Stuttgart, 280 S., 19,90 Euro
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