Symptome, Diagnose, Behandlung: Was ist das Reizdarmsyndrom?
Immer mehr Deutsche erkranken am Reizdarmsyndrom. Das geht aus einem aktuellen Report der Barmer Krankenkasse hervor. So deuten Betroffene die Symptome richtig.
Schmerzen im Bauchraum, Durchfall oder Verstopfung: Viele Menschen in Deutschland kennen diese Symptome, denn sie leiden am Reizdarmsyndrom. Betroffenen ist oft kein geregelter Alltag mehr möglich, soziale Kontakte leiden darunter. Nun beschäftigt sich der am Donnerstag vorgestellte Barmer Arztreport 2019 mit dieser Krankheit. Grundlage des Reports sind anonymisierte Daten zu zwischenzeitlich mehr als neun Millionen Versicherten der Barmer. Der Bericht beantwortet wesentliche Fragen zum Reizdarmsyndrom.
Wie erkenne ich, ob ich am Reizdarmsyndrom leide?
Laut Barmer Arztreport zählen zu den charakteristischen Beschwerden des Reizdarmsyndroms (RDS) im Sinne eines Syndroms Bauchschmerzen und Symptome wie Durchfall oder Verstopfung sowie Blähungen, die über mehr als drei Monate wiederkehrend auftreten und die Betroffenen in deren Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Allerdings gelte es zu beachten: Das RDS ist dabei eine Ausschlussdiagnose. Dies bedeutet, dass bei Vorliegen typischer Beschwerden erst nach Ausschluss anderer Ursachen, welche die Beschwerden gleichfalls begründen könnten, von einem RDS gesprochen werden kann. Biomarker, die ein RDS in Form von Laborbefunden anzeigen, existieren bislang nicht.
Wie viele Menschen leiden in Deutschland am Reizdarmsyndrom?
Laut aktuellem Barmer-Arztreport erhielten eine Million Menschen in Deutschland im Jahr 2017 die Diagnose Reizdarmsyndrom. Das sei jedoch nur die Spitze des Eisbergs, zahlreiche Betroffene mieden aus Scham den Gang zum Arzt. Tatsächlich sei davon auszugehen, dass bis zu elf Millionen Erwachsene an Symptomen wie Durchfall, Krämpfen oder Verstopfung leiden.
Erkrankt seien dabei zunehmend Jüngere. So sei die Anzahl der Betroffenen im Alter von 23 bis einschließlich 27 Jahren zwischen den Jahren 2005 und 2017 von knapp 40.000 auf rund 68.000 gestiegen. Dies sei ein Zuwachs von 70 Prozent. Dabei leiden rund ein Prozent der Männer und fast zwei Prozent der Frauen unter der Krankheit - allerdings mit deutlichen regionalen Unterschieden in Deutschland. Besonders in den westlichen Bundesländern ist das Syndrom verbreitet. "Aufgrund dieser hohen Relevanz muss die Versorgung der Betroffenen deutlich besser werden", forderte der Barmer-Vorstandsvorsitzende, Prof. Dr. Christoph Straub.
Welche Behandlung kommt beim Reizdarmsyndrom zum Einsatz?
Der Barmer-Vorstandsvorsitzende Straub erklärt: "Menschen mit Reizdarmsyndrom leiden nicht an einer rein körperlichen Erkrankung. Das muss bei Diagnostik und Therapie stärker berücksichtigt werden." Nötig sei ein multidisziplinärer Behandlungsansatz, schließlich sei nicht allein der Darm das Problem.
Im Jahr 2017 hätten mehr als 130.000 Reizdarm-Patienten Computertomo-grafien (CT) und mehr als 200.000 Betroffene Magnetresonanztomografien (MRT) erhalten, obwohl sie bei dieser Erkrankung von zweifelhaftem Nutzen seien. Rund 100.000 Personen bekämen opioidhaltige Schmerzmittel, bei denen eine Abhängigkeit drohe.
Welche Probleme gibt es bei bisherigen Reizdarm-Behandlungsmethoden?
Gerade CT sollten aufgrund der hohen Strahlenbelastung nur zurückhaltend eingesetzt werden. Trotzdem hätten 9,2 Prozent der ambulanten und 5,6 Prozent der Fälle im Krankenhaus im zeitlichen Umfeld der Diagnose eine CT-Untersuchung erhalten, so der Barmer Arztreport. Ein ähnliches Bild zeigten die MRT, die sich ebenso wenig für die Diagnostik des Reizdarms eigneten. Trotzdem hätten rund um die Diagnose ambulant 17,1 Prozent und im Krankenhaus 3,2 Prozent der Fälle ein MRT erhalten.
"Bei der Behandlung des Reizdarmsyndroms ist es besonders wichtig, den ganzheitlichen Blick auf Körper und Geist zu richten. Eine reine Gabe von Medikamenten ist der falsche Ansatz", sagte der Autor des Arztreports und Geschäftsführer des aQua-Instituts in Göttingen, Prof. Dr. Joachim Szecsenyi. Bei der üblichen Therapie der Betroffenen gibt es laut Arztreport verschiedene zweifelhafte Ansätze, die nicht frei von Risiken sind. Demnach würden den Patientinnen und Patienten häufig Magensäureblocker verordnet.
Warum sollten keine Magensäureblocker beim Reizdarmsyndrom eingesetzt werden?
Rund 400.000 Betroffene erhielten Magensäureblocker als Medikamente, so steht es im Arztreport. "Es ist kritisch zu hinterfragen, dass so viele Menschen mit Reizdarmsyndrom Magensäureblocker erhalten", so Szecsenyi. Eigentlich sollten sie zum Schutz des Magens gegen zu viel Magensäure eingesetzt werden. Der Nutzen bei einem Reizdarmsyndrom sei dagegen umstritten. Daher sollten Magensäureblocker nur dann über einen längeren Zeitraum verordnet werden, wenn eine medizinische Indikation bestehe.
Wie sollte das Reizdarmsyndrom behandelt werden?
Wer an einem Reizdarmsyndrom erkrankt ist, verursacht bereits acht Jahre vor der Erstdiagnose deutlich höhere Kosten als Vergleichspersonen, die diese Erkrankung nicht haben. "Die Betroffenen leiden mitunter schon viele Jahre an einem Reizdarmsyndrom und suchen deswegen immer wieder Hilfe beim Arzt. Die Erkrankung wird aber lange Zeit nicht erkannt, und die Betroffenen erhalten eine falsche Therapie", erklärt Barmer-Chef Straub. "Es ist enorm wichtig, dass die Reizdarm-Patientinnen und -Patienten die Behandlung erhalten, die sie brauchen", sagt Straub.
Laut dem Geschäftsführer des aQua-Instituts Joachim Szecsenyi sei ein multidisziplinärer Ansatz unerlässlich, in dem Hausärzte oder Internisten eng mit Schmerztherapeuten, aber auch zertifizierten Ernährungsexperten zusammenarbeiteten. Nicht fehlen dürfe der Aspekt der Psychosomatik. Das Reizdarmsyndrom könne eben auch seelische Ursachen haben. (AZ)
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