Renate Greil beschreibt das Lebensgefühl der ersten Nachkriegsjahre
Armut und Mangel, Aufbruchsstimmung und Sehnsucht nach Freiheit: Der Roman "Die Kranichfrauen" von Renate Greil spielt in der Zeit zwischen Kriegsende und Währungsreform.
Das Leben am Ammersee in den Nachkriegsjahren kurz vor der Währungsreform war geprägt von Armut und Mangel an allem, aber auch von Aufbruchstimmung und der Sehnsucht nach Freiheit. Dieses Lebensgefühl fängt Renate Greil in ihrem neuen Roman „Die Kranichfrauen“ ein.
Die Hauptfiguren des Buchs sind zum einen Paula und Anna, aufgewachsen in Kriegszeiten und noch nicht ganz erwachsen, zum anderen Hedi, eine passionierte Seglerin, die versucht, mit zwei kleinen Kindern am Ammersee ihr Leben zu machen, während der Ehemann und Vater vermisst ist. Alle drei Frauen eint die Liebe zur „Kranich“, einem legendären Segelschiff eines fiktiven Segelclubs am Ammersee.
Eine kleine Notiz in einer Vereinschronik gab den Anstoß für "Die Kranichfrauen"
Die Amerikaner nehmen den Segelclub nach dem Krieg in Beschlag (so geschah es damals mit allen Vereinen und Clubs) und machen aus ihm im Sommer 1947 ein „German Youth Activity Center (GYA)“, ein Zentrum für Kinder und Jugendliche, die beschäftigt und auf das Leben in einer Demokratie vorbereitet werden sollen. Sie machen Handarbeiten, lernen Schwimmen, Boxen und Segeln, erhalten Unterstützung in schulischen Belangen. Ebenso gehen dort amerikanische Soldaten ihren Freizeitaktivitäten nach. „In Starnberg hat es so einen Club gegeben, in einer Vereinschronik habe ich eine kleine Notiz darüber gefunden und weiter recherchiert“, erzählt Autorin Renate Greil.
Ihre Literaturagentin Lianne Kolf, Spezialistin für historische Stoffe, hatte Greil für ihr neues Romanprojekt eine spannende Frauenfigur der Nachkriegszeit vorgeschlagen. Und da Renate Greil selbst am Ammersee aufwachsen ist und einen Segelschein besitzt, kristallisierte sich das Thema schnell heraus. „Mir war es auch wichtig, einige geschichtliche Fakten zu verarbeiten, die nicht im kollektiven Gedächtnis verankert sind, etwa das damalige Kibbuz in Dießen“, so die Autorin. „Bei meinen Recherchen habe ich viel Hilfe in Archiven und von den Menschen erhalten, die ich als Experten befragt habe.“
Münchner Bürgertum, Adel aus Ostpreußen und eine problematische Figur
Zurück zum Buch: Paula und Anna, beide gute Seglerinnen, werden dazu auserkoren, den Segelclub wieder herzurichten und mit den Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Auch die "Kranich" soll wieder repariert werden. Paulas Eltern haben ein Interesse daran, dass ihre Tochter am Wiederaufbau des Segelclubs mitwirkt, denn ein Großteil der Familie war dort Mitglied gewesen und möchte den Club schnell wieder aufleben lassen. Paula ist Tochter aus gutem Münchner Hause, deren Familie ein Landhaus in St. Alban besitzt, und die Lehrerin werden möchte. Anna ist die Tochter eines Schildermalers in Dießen.
Zwei Kriegsheimkehrer werden von den Amerikanern ebenfalls engagiert, der adelige Wolf von Birkenstein, ein hervorragender Segler, dessen Familie in Ostpreußen alles verloren hat, und Dietrich Müller, der sich nach und nach als problematisch entpuppt.
Auch Eli Mandelbaum spielt eine Rolle, er wohnt in Dießen im Kibbuz für Displaced Persons, also für Personen, die kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs keine Heimat mehr hatten. Eli bereitet sich auf die Ausreise nach Israel vor, das damals noch britisches Mandatsgebiet war. Solange er noch in Dießen ist, übernimmt er Annas Arbeit als Schildermalerin in der Werkstatt ihres Vaters und ermöglicht ihr, der Arbeit im Segelclub nachzugehen. Denn der Lohn dort trägt zum Überleben von Annas Familie bei.
Als die "Kranich" fertig ist, wird es spannend
Doch für Anna und Paula läuft die Arbeit im Segelclub nicht ganz wie erhofft. Als die "Kranich" in neuem Glanz erstrahlt, bekommen sie mit, dass das Schiff als Kriegsbeute verschleppt werden soll. Beide setzen alles daran, das zu verhindern. Ein sehr spannender Teil der Geschichte…
Die Zeit nach dem Sommer 1947 haben die Eltern der beiden jungen Frauen bereits für ihre Töchter verplant: Anna soll eine Lehre als Schneiderin antreten, obwohl sie lieber Bootsbauerin werden möchte, was damals Männern vorbehalten war. Paula soll einen betuchten jungen Mann aus besseren Münchner Kreisen heiraten, der Geld ins Unternehmen der Eltern einbringt. Werden sich die Frauen fügen?
Ein schwieriges Thema, das Renate Greil in einen angenehmen Schreibstil verpackt
Renate Greil gelingt es, ihre Leserinnen und Leser die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg im Fünfseenland hautnah miterleben zu lassen. Der Roman liest sich spannend und wunderbar leicht, doch hinter der Geschichte steckt enormer Rechercheaufwand. Denn gerade über die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es wenig Material, es erschienen keine lokalen Zeitungen und es gibt nur bruchstückhafte Aufzeichnungen. Hier fehlt ein Stück Geschichte, das Renate Greil in ihrem Roman aufleben lässt. Die Autorin beschreibt nicht nur die strenge Ordnung der Nachkriegszeit, sondern auch die Lage der Kriegsheimkehrer, der Vertriebenen, die unterschiedlichen Lebensverhältnisse der Frauen in der Stadt und auf dem Land sowie deren (fehlende) Rechte und ihre Selbstermächtigung. Ein schwieriges Thema, leicht verpackt und in angenehmem Schreibstil.
Das Buch „Die Kranichfrauen“ erscheint am 25. April, die Auftaktlesung findet an diesem Abend um 19 Uhr in der Dießener Buchhandlung Colibri statt.
Renate Greil: Die Kranichfrauen, Der Wind der Freiheit Ullstein Verlag 2024, 13,99 Euro. eBook 9,99 Euro.
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