Mit Körper, Geist und Tusche
Der japanische Großmeister Kawakami Sensei präsentiert in Dinkelscherben monumentale Schreibkunst. Die riesigen Pinsel wiegen bis zu acht Kilogramm.
Eine ehrfurchtsvolle Stille schwebt im Raum, die Besucher betrachten schweigend die ausgebreiteten Papierbahnen auf dem Boden des Pfarrsaals. Doch keineswegs ein Gottesdienst oder eine Abendandacht folgt, sondern eine religions- und kulturübergreifende Darbietung der etwas anderen Art: Kawakami Sensei ist Großmeister der japanischen Kalligrafie, der Kunst des Schönschreibens, und präsentierte großflächig auf Einladung des Dinkelscherbener Zen-Zentrums diese asiatische Disziplin.
Mit besonnenen Schritten setzte sich der Künstler auf seine monumentale Leinwand und legte sich beim meditativen Lotus-Sitz behutsam die Arbeitsutensilien zurecht: Große Wannen voller schwarzer Tusche, schwere Steine zum Beschweren und riesige Pinsel, die bis zu acht Kilogramm auf die Waage bringen. In Japan hat die Kalligrafie noch immer einen hohen Stellenwert und dient dazu, einen individuellen Charakter mittels expressiver Ausdrucksformen zu erlangen. Ähnlich wie bei musikalischen Kompositionen sind die Abfolgen der Schriftzeichen von vornherein festgelegt, sodass der Künstler einzig durch seine Interpretationen eine ganz eigene Persönlichkeit entfaltet. Dies war auch augenblicklich zu sehen, als Kawakami seinen großen Pferdehaar-Pinsel in die Tusche tauchte und mit geschmeidiger Energie die ersten Schriftzeichen auf das Papier zauberte, denn die faszinierende Performance glich vielmehr einer Tai-Chi-Choreografie als einem technischen Handwerk. Die Besucher erfuhren vom Großmeister, dass geistige Versenkung und die harmonische Einheit von Körper und Geist die wichtigsten Elemente seien: „Ich konzentriere meine Kraft auf die Nabelgegend und versuche mit meiner Umgebung zu verschmelzen.“ Die allmählich entstehenden Werke des Künstlers sprachen vor allem die Gefühle und die Fantasie der Zuschauer an, so trugen sie Namen wie „Leben“, „Licht“, „Herz“ oder Meer“. Manche Pinselstriche waren von wuchtigem Temperament geprägt, andere wurden wie hauchdünne Spinnenfäden leise zu Papier gebracht. Kawakamis „sprechende“ Bilder offenbarten zudem auch eine formschöne Zeitreise durch die japanische Kulturgeschichte, da sie die Entwicklung der unterschiedlichen Schriftzeichen und Systeme nachzeichneten – von den bildhaften Hieroglyphen der Anfangszeit über die komplizierte Alltagsschrift bis hin zu minimalistischen Symbolen für gehobene Anlässe. Kawakami sparte bei seinen Erläuterungen auch keineswegs mit Humor: Als er auf einige Zeichen verwies, die in Japan hauptsächlich auf Werbeschildern und Leuchtreklamen zu finden seien, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln: „Leute, die gerne trinken, haben sehr viel mit dieser Schrift zu tun!“ Seiner Einschätzung nach brauche es mindestens zehn Jahre, bis sich ein Kalligraf Meister dieser Kunstform nennen kann, doch in Wahrheit handele es sich um einen lebenslangen Prozess, der niemals fertig werde.
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