Von Blumentapete bis Landhausstil: Eine Zeitreise durch die Wohnzimmer
"Wohntrends in Miniatur": Die Ausstellung bietet Puppenmöbel mit Liebe zum Detail und einen Spaziergang durch Wohnräume aus verschiedenen Jahrzehnten.
Kennen Sie noch den mit Plüsch bezogenen Hocker, der in Schlafzimmern oder Bädern stand? Oder erinnern Sie sich an das Ungetüm, den schwarzen CD-Turm? Dann sind Sie in der Sonderausstellung im Volkskundemuseum in Oberschönenfeld richtig, um in vergangenen Wohnwelten zu schwelgen. Da Vintage und Retromöbel in sind, ist diese Schau auch für Jüngere von Interesse. Das Museum bietet eine Entdeckungsreise durch fünf Jahrzehnte Wohntrends und hat sich einen Clou ausgedacht: Fünf Räume mit Möbel in Originalgröße werden kombiniert mit identischen Miniaturmöbeln aus Puppenhäusern.
Die Sonderausstellung fußt auf dem Nachlass des Puppenmöbelherstellers Bodo Hennig aus dem Allgäu. Mit seiner Firma Bodo Hennig Puppenmöbel hält der Spielzeugmacher fünf Jahrzehnte Zeitgeschichte fest. Hennig war als Drechsler und Schreiner am Puls der Zeit, wenn nicht sogar der Zeit voraus. Bereits 2000 findet sich im Wohnzimmer seines Puppenhauses ein PC. Wenn Cocktailsessel, Hollywoodschaukel mit Blumenmuster und Nierentische angesagt waren, baute der Allgäuer sie in Miniatur nach. Hennig war vor allem in der 80er-Jahren der Marktführer in Deutschland. Die ersten Möbel fertigte er komplett aus Holz, schließlich kooperierte er mit zwei Firmen für Druck- und Spritzguss. Aus Kunststoff entstanden Toilette, Badewanne oder Waschbecken, sie wurden zum Bestseller. Ab 1972 stellte die Firma Hennig Möbel aus Kunststoff her, die von Designklassikern inspiriert waren, beispielsweise eine Kugelleuchte oder orangefarbene Sessel.
Der beheizbare Miniofen fürs Puppenhaus wurde zum Verkaufsschlager
Hennig war das Detail und die Nähe zum alltäglichen Gebrauch stets wichtig. Ein Verkaufsschlager wurde der Mini-ofen für die Puppenküche, den man mit einer kleinen Kerze schüren konnte. Von dem Ofen wurden 250.000 Stück produziert. Bei der Küchenwaage von Hennig bewegt sich der Zeiger, die Kurbel von Fleischwolf oder Butterfass lässt sich drehen. "Man konnte richtig was damit machen, die Sachen waren nicht nur Fake", erklärt Christine Hofmann-Brand, Sprecherin des Museums.
Die Möbel von 1950 bis 2000 spiegeln Zeitgeschichte wider. Besonders anschaulich wird dies in dem Bereich der Ausstellung, in dem die Besucherinnen und Besucher durch fünf Räume spazieren können. Hier werden die Wohnwelt der Nachkriegszeit und der folgenden Jahrzehnte erlebbar. Das Team vom Volkskundemuseum Oberschönenfeld hat sich die Mühe gemacht, die Miniaturmöbel in Originalgröße zu suchen. So manches war im Fundus zu finden, anderes wurde beispielsweise auf Ebay gekauft oder vom Freiluftmuseum Illerbeuren geliehen. Hofmann-Brand: "Wir wollten zeigen, wie nah Hennig mit seinen Puppenmöbeln am Original war."
Jedes Jahrzehnt hat einen Raum und eine Farbe bekommen. Es beginnen die 50er-Jahre, die nach der Kriegszeit einen Aufbruch in ein neues Wohnen brachten. Moderne Anbauküchen aus Modulen lösten die wuchtigen Küchenbüfetts vergangener Zeiten ab. Schwere Wohnzimmermöbel wurden ersetzt durch Nierentische und Schalensessel.
In den 60er-Jahren sind klare Linien und knallige Farben dominierend. Der schlichte Sprossenstuhl aus Holz in der Küche ist der Renner. Bunt und knallig darf es sein, auch bei der Tapete oder beim Blumenmuster der Hollywoodschaukel. Als es den Familien in Deutschland dank des Wirtschaftswachstums langsam immer besser geht, verlagert sich das Leben am Wochenende in den Garten. Möbel aus Drahtgestell und die besagte Hollywoodschaukel gehören dazu, am besten im Garten eines Bungalows.
Orange und Braun sind angesagt im Raum der 70er-Jahre. In dieser Zeit zieht der Fernseher in die Wohnungen ein und verändert das Freizeitverhalten. Gemeinsame Fernsehabende auf der zentralen (oft braunen) Couch sind beliebt. Die gute Stube verwandelt sich in ein Wohnzimmer mit Polstergarnituren und Schrankwand. Das schwarze Ledersofa, der Tisch mit Glasplatte oder Wohnwände dürfen in den 80er-Jahren nicht fehlen. In den Puppenküchen zeigt sich ein gesellschaftliches Phänomen: Die Küche wird als Wohnraum genutzt und gilt nicht mehr nur als Arbeitsplatz der Frau. Viele Besucher werden sich beim Kinder- und Jugendzimmer aus den 90er-Jahren erinnern an den Flickenteppich unter dem massiven Schreibtisch aus Holz und den Schreibtisch-Boy aus Plastik für die Stifte. Zum Ende seiner Schaffenszeit richtete Hennig die Puppenhäuser im Stil des Landhauses mit der Möbelserie "Country" ein. Diese Mode erfüllte den Wunsch nach der guten alten Zeit, nach Gemütlichkeit.
Johanna Feige ist zusammen mit Eva Bendel Kuratorin der Ausstellung. Sie berichtet, dass das Museum Oberschönenfeld fast aus Zufall zu dieser Sammlung der Puppenmöbel gekommen sei. Während eines Telefonats mit der Witwe von Bodo Hennig kam das Gespräch auf den einmaligen Nachlass. 2021 fiel der Entschluss, die Sachen zu kaufen. Mit Lastern und in vielen Kartons verpackt kamen die Puppenmöbel in Oberschönenfeld an und mussten erst einmal in vielen Stunden gesichtet und inventarisiert werden. Der Plan, diese Arbeiten in einer Ausstellung zu zeigen, stand von Anfang an fest. Die Möbeltrends in Klein und Groß gegenüberzustellen, kam als Idee dazu.
Um Kindern Abwechslung in der Schau zu bieten, gibt es ein großes Hennig-Puppenhaus zum Spielen. An einer Magnetwand können die Kleinen die Zimmer nach ihrem Geschmack einrichten. Die „Wohntrends in Miniatur“ sind bis zum 13. Oktober 2024 in Oberschönenfeld zu entdecken.
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