Heroinsucht: Elfjährige findet tote Mutter
Ein elfjähriges Mädchen fand seine Mutter, die sich eine tödliche Dosis Heroin gespritzt hatte. In der Region leben Hunderte Kinder mit abhängigen Eltern.
Die elfjährige Nadine (Name geändert) sitzt vor dem Fernseher. Sie ist zu Besuch bei ihrer Mutter. Plötzlich hört sie ein Geräusch. Es kommt aus dem Badezimmer und klingt wie ein dumpfer Schlag. Sie sieht nach und findet ihre Mutter, 43. Die Frau hat sich Heroin gespritzt. Jetzt liegt sie regungslos auf dem gekachelten Boden. Das Mädchen ruft erst seinen Vater an, der wählt den Notruf. Doch der Notarzt kann nichts mehr tun. Die Mutter ist tot. Todesursache: vermutlich eine Überdosis.
Die Szene spielte sich am Donnerstag vorige Woche in einer Wohnung in Lechhausen ab. Für das Kind war das Geschehen ein Schock. Es fand seine Mutter – und konnte ihr nicht mehr helfen. Für Fachleute ist der Tod dagegen weniger überraschend. Die Mutter war 43 Jahre alt und, wie es heißt, bereits seit vielen Jahren abhängig. Wegen ihrer Sucht soll sie sogar schon im Gefängnis gewesen sein. Viele Drogentote sind in diesem Alter. Oft ist ihre Gesundheit durch den langen Drogenkonsum bereits angegriffen.
Ins Heim muss das Mädchen nun allerdings nicht. Es hat weiterhin ein Zuhause. Die Elfjährige lebt bei ihrem Vater, sie durfte ihre Mutter aber regelmäßig besuchen. „Kinder brauchen ihre Eltern“, sagt Manfred Klopf vom Augsburger Jugendamt. „Wenn es irgendwie möglich ist, versuchen wir, dass auch Drogensüchtige Kontakt halten können zu ihren Kindern.“ Wie der Kontakt aussieht, hängt vom Einzelfall ab. Intakte Familien gibt es im Drogenmilieu selten. Häufig leben die Eltern getrennt. Es gibt aber sogar Kinder, die bei Mutter oder Vater leben dürfen, obwohl diese alleinerziehend und süchtig sind.
Das Jugendamt schaue in solchen Fällen aber sehr genau hin, versichert Manfred Klopf. „Wenn es dem Kind wirklich gut geht, dann kann es erst einmal bleiben.“ Häufig werden die süchtigen Eltern auch unterstützt und bekommen regelmäßig Besuch von einem Pädagogen, der vom Amt geschickt wird. Wenn die Kinder noch sehr klein sind, ist die Gefahr besonders hoch, dass süchtige Mütter überfordert sind, weiß Klopf aus Erfahrung.
In den Beratungsstellen der Drogenhilfe Schwaben ist man auf drogensüchtige Mütter und Väter eingestellt. „Bei uns stehen häufig Kinderwägen vor der Türe, wir haben auch einen Wickeltisch“, sagt Gerlinde Mair, die Geschäftsführerin. Die Mitarbeiter der Drogenhilfe wissen von aktuell 213 Familien im Raum Augsburg, in denen mindestens ein Elternteil drogensüchtig ist. 320 Kinder leben der Statistik zufolge in diesen Familien. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein.
Nicht jedem Kind eines Süchtigen stehe zwangsläufig eine finstere Zukunft bevor, sagt Gerlinde Mair. Selbst wenn das Kind nach der Geburt an Entzugserscheinungen leidet, weil sich die Mutter auch während der Schwangerschaft Heroin spritzte. „Natürlich gibt es traurige Fälle, in denen Eltern ihre Kinder nicht ausreichend versorgen oder ihre kleinen Kinder einfach allein zu Hause lassen“, räumt Gerlinde Mair ein. Doch sie kennt auch andere, positive Beispiele: etwa den Fall einer heroinsüchtigen Mutter, die derzeit den Ersatzstoff Methadon bekommt. Durch die Substitution könne die Mutter ein einigermaßen geregeltes Leben führen, sagt Mair. Und die Tochter besucht, mit Erfolg, das Gymnasium.
Im Fall der elfjährigen Nadine setzt das Jugendamt darauf, dass sie weiter beim Vater bleiben kann. Der Vater werde unterstützt, heißt es beim Amt. Düster war die Prognose dagegen für einen achtjährigen Buben, dessen Vater vor einem Jahr in Augsburg wegen Drogenhandels zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Eine Haaranalyse hatte ergeben, dass der Achtjährige über Monate hinweg Heroin bekommen hatte. Er musste ins Heim.
Die Diskussion ist geschlossen.