
Bis zum Verlöschen

Eckhard Kremers auch mit Alzheimer-Skulpturen in der Galerie Oberländer
So einfach es sein mag, eine Porträtbüste des Gehirnpathologen Alois Alzheimer (1864–1915) zu schaffen, so schwer erscheint es, die nach ihm benannte Krankheit, genauer deren Auslöschen einer Persönlichkeit, bildlich zu fassen. Doch es geht, wie derzeit in der Atelier-Galerie Oberländer zu sehen.
Dort stellt zum zweiten Mal Eckhard Kremers aus. Konrad Oberländer ist, wie er es immer tut, zur Sichtung ins Atelier des 64-jährigen Künstlers (und Marburger Professors) gefahren, also auf den Burgberg von Diez oberhalb der Lahn. Zu den 40 Skulpturen, Bildern und Zeichnungen, die er dort für Augsburg auswählte, gehören etliche Bronzen und Papierarbeiten mit dem Titel „vom Vergessen“. Er umschreibt eine Trauerarbeit – in Erinnerung an Kremers’ mehrjährigen Aufenthalt in Japan und an seinen Tokioter Freund Akira Ueda, der ihm auch als erster Galerist eine Einzelausstellung ausrichtete.
Geformt aus Papier und anderen Atelierabfällen
Dieser Akira Ueda starb 1997 nach Jahren körperlichen und geistigen Verfalls, den Kremers künstlerisch zu bewältigen sucht. Sein Gesicht des Morbus Alzheimer ist ein Antlitz, das sich auflöst, bis es nur noch als diffuse Masse erkennbar ist. Solches als Skulptur darzustellen, gelingt Kremers durch die ihm eigene Arbeitsweise mit Papier, Pappe, Klebeband – Materialien, mit denen er die Form von innen nach außen aufbauen kann, die er schnüren, knautschen und dann mit Farbe härten kann, um die Vorlage für den Guss zu gewinnen. Bei Oberländer sind fünf solcher Bronzeköpfe als ein bewegendes Memento mori nebeneinander gereiht.
In zweifacher Ausführung begegnen bodenlange Röcke („Madonna“ II und IV), wie Kremers sie im Württembergischen Landesmuseum als königliche Gewänder angetroffen und in seiner Papier/Textil/Acryl-Technik so ausgeformt hat, als ob der Körper selbst gar nicht abwesend wäre, als ob die Kleiderhülle ein Gefäß des Körpers wäre wie der Körper ein Gefäß der Seele.
Großen Eindruck macht eine 70 Zentimeter hohe Bronze: „Bouquet Nr. 7“. Doch noch eindrucksvoller ist ihr großer Bruder „Bouquet X“, der, knapp drei Meter hoch, seit dem Frühjahr den Park des Ludwig-Museums Koblenz ziert. Wie dieses vermeintlich vegetative Großgebilde von der Papierform (aus Atelierabfällen) zur patinierten Bronze werden konnte, ist eine ebenso künstlerische wie gusstechnische Meisterleistung. Bei Oberländer steht „Bouquet Nr. 7“ vor der Leinwand „Brand – Fra Girolamo“, die auch ein Bouquet zeigt, allerdings eines, das zum Scheiterhaufen gebündelt ist.
Ein weißes und ein farbiges Bein
Kremers arbeitet mit zufälligen Eindrücken ebenso wie mit historischen und kunstgeschichtlichen Ableitungen. „Alte Meister & andere“ hieß demgemäß die 2001 bei Oberländer (danach in Limburg und Marburg) gezeigte Ausstellung, die auch Kremers’ Lust für das Fragment, für das Torso als das Versprechen des Ganzen bekundete. Vier Papierarbeiten der Serie „Il miracolo“ bestätigten das jetzt. Sie zeigen nur Bein, und zwar ein weißes und ein farbiges. Das nimmt Bezug auf die heiligen Zwillingsmärtyrer Kosmas und Damian, die einem frommen Weißen das kranke Bein abgenommen und durch das gesunde eines Mohren ersetzt haben sollen.
Konrad Oberländer konnte sich in seiner Eröffnungsrede die Frage nicht verkneifen, „wie sich der geflickte Gottesmann gefühlt hat mit seinem neuen Bein, ob er es als sein eigenes ansehen konnte, oder ob es ihm fremd blieb und er es sogar wieder loshaben wollte“. Aber wer will denn alles so genau wissen, zeigt doch diese Kremers-Schau eher das Infinite als das Definitive.
Laufzeit in der Galerie Oberländer (Färbergäßchen 5) bis 20. Dezember, Mo.–Fr. 16–19 Uhr u. nach Vereinbarung (Tel. 0821/39893 und 431859).
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