Das Herz noch voller als die Blase
Das JTT inszeniert „Pinkelstadt“
Das Stück hat einen fürchterlichen Namen, sagt sogar der Erzähler auf der Bühne: „Pinkelstadt“ klingt nicht nach einem Titel, mit dem man Zuschauer ins Theater lockt. Trotzdem – was vor zwölf Jahren am Broadway ein Riesenerfolg war, funktioniert auch am Theater Augsburg: sämtliche angesetzten Aufführungen des JTT-Musiktheaters (Jugendtheaterclub des Theaters) im Hoffmannkeller sind ausverkauft.
In dem Musical von Mark Hollmann und Greg Kotis, das in der Fassung des JTT am Freitag Premiere hatte, geht es um den Notstand mit der Notdurft: Nach langer Dürre sind private Klos verboten und das Monopol auf öffentliche Toiletten-Anlagen hat Werdmehr von Mehrwert mit seiner „GmbHarn & KLO KG“. Mehrwert nutzt das für immer drastischere Preiserhöhungen. Wer in die Büsche macht, wird mit Verbannung oder Schlimmerem bestraft. In den ärmeren Vierteln von Pinkelstadt kann es sich kaum mehr jemand leisten, aufs Klo zu gehen, die Menschen stehen bettelnd Schlange, bis es an Bedürfnisanstalt Nr. 9 zu einem Aufstand kommt: mit Klobürsten und Pömpeln gegen die Schlagstöcke der Polizei...
Der Erzähler führt mit lässiger Ironie durch den Abend
Das Gute an dem schlechten Titel ist, dass „Pinkelstadt“-Anschauen fast so viel Spaß macht wie Dreijährige zu haben, die beim Kaffeekränzchen ständig „Pipi-Kacka-Furz“ sagen. Jedes mal, wenn der Erzähler (Dominik Kastl) „das Musical Pinkelstadt“ erwähnt, lässt er etwas Goldglimmer auf die Bühne regnen und setzt den entsprechenden Glamour-Blick dazu auf. Überhaupt ist es Kastl, der die Selbstreflexivität des Stückes mit lässiger Ironie dem Publikum näher bringt: Er erklärt, wann und wie man die Katharsis zu empfinden habe und weshalb man sich aufs Sujet des Pipimachens beschränke.
Romantische Duette und wilde Schlachten
Dabei geht es natürlich um viel mehr: um Klimapolitik, soziale Gerechtigkeit und Liebe. Bei Johnny Stark (Korbinian Grabmeier), der den Aufstand bei Bedürfnisanstalt Nr. 9 anzettelt, ist das Herz nämlich noch voller als die Blase: voll von Liebe zu Mehrwerts Tochter und revolutionären Ideen wie „Freipinkeln für alle“. Es kommt zu romantischen Duetten und wilden Schlachten, Lynchjustiz und einem grauenvollen Happy End. Regisseurin Annika Nitsch überzeichnet das Musical-Genre, bedient sich ungeniert bei Hollywoods Revue-Filmen und lässt ihre Darsteller augenzwinkernd überagieren.
Eine spaßige Dystopie, ein ironisches Stück mit sozialpolitischer Message – funktioniert das als Projekt eines Jugendtheaterclubs? Ja, denn gerade weil die Jugendlichen es mit respektloser Spielfreude auf die Bühne bringen, kann man Nitsch zur Stückauswahl gratulieren, auch, weil es – lange vor dem Aufkochen des Themas Privatisierung der Wasserwirtschaft ausgewählt – an Aktualität gewann.
Das junge Ensemble schafft den Spagat nicht immer perfekt, aber stimmig: vor allem Grabmeier als Johnny changiert leichtfüßig und gekonnt zwischen ernsthaften und parodistischen Szenen und Paul Lonnemann spielt Mehrwert skrupellos-verrückt und komisch-sadistisch, fast in derManier einesJames-Bond-Bösewichts. Auch die Nebenrollen sind fast alle ständig auf der überbreiten Bühne mit großer Nähe zum Publikum präsent und müssen knappe zwei Stunden lang dauerlächeln. Dem Premierenpublikum stand das Amüsement ins Gesicht geschrieben.
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