Die lebende Legende
Äußerlich wirkt der 68-jährige Bluesmusiker Johnny Winter zwar krank, aber die Gitarre hat er im Spectrum Club noch fest im Griff. 800 Fans feiern den „weißen Jimi Hendrix“
So sieht also eine lebende Legende aus. Wenn er an einer stark befahrenen Straßenkreuzung stünde, man würde Johnny Winter über die Straße helfen. Das Leben hat ihn ausgezehrt. Sein Körper ist krank, ist ruiniert von seinen früheren jahrelangen Heroin-Exzessen.
Etwas unsicher mit schlurfenden Schritten und mit einem sanften Lächeln betritt Johnny Winter, begleitet von seiner Band, die Bühne im Augsburger Spectrum Club. Er setzt sich sofort auf einen Stuhl, der in der Mitte platziert ist. Seinen Cowboyhut hat er dabei tief ins Gesicht gezogen. Viel authentischer geht nicht mehr.
Lange hat er sich über die Woodstock-Aufnahmen geärgert
Mit über 800 Besuchern ist der Club pickepackevoll. Noch nie waren dort die Haare länger und dünner als am Dienstagabend. Der Großteil der Fans ist schon weit über 50 Jahre alt und Winter ist einer der ihren.
Johnny Winter ist immerhin auch ein Teil von Woodstock, der Mutter aller Rockfestivals. Der Musiker hat sich lange Zeit darüber geärgert, dass er auf den früheren Woodstock-Filmaufnahmen nie zu sehen war. Das hat ihm sein damaliger Manager vermasselt. Auf den neu editierten Aufnahmen von 2009 ist er dabei. Er, der alte Bluesrocker, den die Schwarzen früher als „weißen Jimi Hendrix“ bezeichnet haben, während er von den Weißen ehrfürchtig der „Albino-Rocker“ genannt wurde.
„Albino-Rocker“, weil Winter mit Albinismus zur Welt kam. Menschen mit dieser Krankheit haben eine hellere Haut, Haar- und Augenfarbe. Außerdem ist ihre Sehschärfe stark beeinträchtigt. Alles in allem hatte Winter eigentlich keine guten Voraussetzungen, um ein Star zu werden.
Doch seine Fans hat das nie gestört; sie sind auch in Augsburg völlig aus dem Häuschen. Johnny Winter hat noch immer den Blues. Stimmlich war der mittlerweile 68-Jährige nie einer der ganz Großen. Das ist logischerweise auch nicht besser geworden. Es klingt brüchig, manchmal etwas krächzend. Bei „Johnny B. Good“ hört man fast gar nichts mehr von Winter, obwohl er mit seinen Lippen fast das Mikrofon berührt.
Doch sein Spiel auf der Gitarre, die in seinen dürren, tätowierten Armen etwas klobig wirkt, ist nach wie vor sensationell. Messerscharfe Riffs heulen durchs Spectrum. Und das Publikum erweist ihm Respekt. Respekt, den er verdient. Lang anhaltender Applaus nach jeder Nummer.
Sie wippen mit beim „Got my Mojo Working“. Einem Titel von Muddy Waters. Der amerikanische Bluesmusiker Waters, der 1983 gestorben ist, war laut Winter schon immer der, von dem er in seiner Karriere am meisten beeinflusst worden ist.
Wie ein gutmütiger Großvater
Dabei hätte man sich Winter auch immer gut als Rockstar vorstellen können, doch das war nie sein Ding. „Ich hörte den Blues schon als Kind. Ich dachte, das ist die tollste Musik der Welt. Die will ich können“, sagte Winter einmal in einem Interview.
Bei „Good morning little Schoolgirl“ von Sonny Boy Williamson scheint es so, dass er gesanglich etwas danebenliegt. Etwas hilfesuchend blickt er in die Richtung von Gitarrist Paul Nelson. Der nickt nur generös nach dem Motto „Passt schon“ in seine Richtung.
Natürlich erweist Winter auch den Rolling Stones seine Referenz. „Gimme Shelter“ oder „Jumpin’ Jack Flash“ gehören seit eh und je zu seinem Repertoire. Doch man merkt Winter an, dass es für ihn nicht einfach ist, die Konzentration zu halten. Von den Fans nimmt ihm das niemand übel. Die würden ihn am liebsten nicht mehr von der Bühne lassen.
Nach knapp 90 Minuten ist die Show des Johnny Winter dann aber doch vorbei. Seine Band stützt ihn etwas und nimmt die lebende Legende in ihre Mitte.
Als er noch einmal in die Menge winkt, sieht er aus wie ein gutmütiger Großvater, der nun für eine längere Zeit seine Enkelkinder verlassen muss.
Vielleicht ist es derzeit ja tatsächlich seine letzte Tournee. Es hat jedenfalls gutgetan, ihn wenigstens noch einmal in diesem Leben gesehen zu haben.
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