Augsburg: Immer mehr Jugendliche trinken
Immer häufiger erschüttern Meldungen über volltrunkene Jugendliche die Öffentlichkeit. Auch Mediziner aus dem Augsburger Josefinum schlagen Alarm: Die Zahl der Jugendliche in der Region, die regelmäßig große Mengen Alkohol trinken, steigt. Von Eva Maria Knab
Von Eva Maria Knab
Sie lag betrunken hinter einem Busch, neben sich eine leere Flasche Wodka. So fanden Rettungskräfte ein 15-jähriges Mädchen in einer Augsburger Grünanlage. Es ist eine Meldung von vielen, in denen es um schwer alkoholisierte Jugendliche geht.
Die Fälle schlagen sich nicht nur im Polizeibericht nieder. Auch Krankenhausärzten bereiten volltrunkene junge Patienten immer mehr Arbeit. "Wir haben einen enormen Anstieg der Fallzahlen", sagt Dr. Jörg Lüthy vom Josefinum.
Seit 2001 betreibt das Krankenhaus Josefinum eine bayernweit einmalige Drogen-Entgiftungsstation für Kinder und Jugendliche. "Wir sind stets voll belegt", sagt Lüthy als zuständiger Oberarzt. Gerade bei der legalen Droge Alkohol schrillen bei den Medizinern inzwischen die Alarmglocken. Die Zahl der Patienten hat sich in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Josefinums in den letzten drei Jahren verdreifacht.
Auch im Klinikum Augsburg müssen immer mehr Jugendliche mit Rausch auskuriert werden. Rund 120 Patienten sind es pro Jahr. Mit Sorge verfolgen die Mediziner, dass immer mehr Kinder Promille-Probleme haben. "Wir sehen eine starke Zunahme von Fällen im Alter ab zwölf Jahren", sagt Lüthy. Jugendliche ab 14 Jahren seien in der Entgiftungsstation des Josefinums bereits keine Seltenheit mehr.
Kopfzerbrechen bereitet den Experten im Josefinum auch, dass immer mehr Jugendliche regelmäßig viel Hochprozentiges zu sich nehmen. Nach Untersuchungen trinken sich 18 Prozent der 16- bis 19-Jährigen mindestens dreimal im Monat einen Rausch an. Dieses "Binge Drinking" (mehrere Gläser in kurzer Zeit) ist eine Vorstufe zum Koma-Saufen.
Jugendliche Alkoholkarrieren verlaufen selten spektakulär. "Typisch ist der unauffällige Beginn", sagt Lüthy. So wie bei einem 16-Jährigen. Seine Eltern hatten hoch bezahlte Jobs, aber keine Zeit für ihn. Gleichzeitig erwarteten die Eltern Höchstleistungen von ihrem Sohn in der Schule und im Sport. Er konnte die Erwartungen nicht erfüllen und flüchtete in den Rausch.
Beim allzu sorglosen Umgang mit dem Alkohol spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Trinken ist praktisch gesellschaftlich akzeptiert. Der Abstinenzler gilt in Gruppen als Außenseiter. Häufig kommen bei Jugendlichen auch mehrere Probleme zusammen, etwa Trennung der Eltern, Überschuldung und schlechte Noten. "Für Jugendliche ist das Aufwachsen heute sehr viel schwieriger geworden", sagt Chefarzt Dr. Rudolf Winkler.
Die Grenzen vom Alkoholmissbrauch zur Abhängigkeit sind fließend. Und die Therapeuten stoßen oft auf eine weitere Schwierigkeit: "Betroffenen fehlt das Bewusstsein, dass sie krank sind, anders als bei illegalen Drogen", sagt Winkler. Eine hausinterne Studie hat jedoch ergeben, dass Therapien bei Jugendlichen, die sich anfangs gegen eine Behandlung sträuben, genauso erfolgreich sind wie bei "freiwilligen" Patienten. Die Hälfte der Fälle in der Entzugsstation sind zwei Jahre später noch stabil und abstinent.
Eine stationäre Entwöhnung in der Klinik ist aus Sicht der Mediziner aber für viele Jugendliche, die nur eine einzige Alkoholvergiftung erlebt haben, nicht nötig. Der richtige Weg sei oft eine ambulante Betreuung für die Familie. Für sehr gut hält Lüthy das neue "HaltProjekt" der Caritas. Die Kliniken können dort einen Berater anrufen, bevor sie ausgenüchterte Patienten wieder entlassen. Der Sozialarbeiter spricht dann mit den Jugendlichen und ihren Eltern oft noch in der Klinik, um das Risikobewusstsein zu schärfen. So hofft man, frühzeitig langjährige Trinkerkarrieren zu verhindern (AZ berichtete).
Die Mediziner im Josefinum würden sich angesichts wachsender Alkoholprobleme bei jungen Menschen aber ein noch breiteres und zeitnäheres Beratungsangebot in Augsburg wünschen.
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