Haydn 2.0: Das Staatstheater Augsburg probt "Das Ende der Schöpfung"
Krieg, Pandemie, das Klima: Endzeitstimmung macht sich breit. Dieses Gefühl will das Staatstheater Augsburg in einem szenischen Oratorium auffangen.
Joseph Haydn hat einen Sprung in der Platte. Nein, das ist nun keine Beleidigung gegen den ältesten, ersten aller Großmeister der Wiener Klassik. Es ist nur eine Diagnose, der Versuch zu fassen, was sich hier an diesem Abend im Martini-Park, Halle B13, abspielt: Gerade hatten sich die Augsburger Philharmoniker sehr filigran in das Oratorium „Die Schöpfung“ hineingeprobt. Ein funkelndes Haydnsches Prachtwerk aus dem Jahr 1798, bibelgrundiert, mit Lobpreis des Herrn und Ohrwurm-Zeilen wie: „Mit Staunen sieht das Wunderwerk, der Himmelsbürger frohe Schar“.
Doch dann – Kapellmeister Ivan Demidov winkt ab. Plötzlich eiert der Ton, die Nadel rutscht ab und kratzt. Stimmengewaber klingt mit Geigen-Echo aus Lautsprecherboxen, im Schleudergang von Highspeed-Vorspulen und Slowmotion-Rückwärtsgang. Spätestens jetzt scheint klar: Dies ist nicht „Die Schöpfung“, wie Haydn sie schuf. Dies ist „Das Ende der Schöpfung“. So heißt das szenische Oratorium, frei nach Haydn, das am 10. April am Staatstheater seine Premiere feiern wird.
André Bücker knöpft sich Haydns Schöpfung vor
Die Apokalypse, die sie in der Halle proben, soll ein Gesamtkunstwerk werden. Alle Sparten spielen mit, von Ballett bis zum Opernchor, der auf der Bühne in eine Kulisse tritt, die an eine Bibliothek erinnert – auf futuristische Art. Und wenn im Orchester Naturhörner nach Haydns Noten spielen, leuchten im Dunkel der Publikumsreihen die Bildschirme. An Mischpulten und Laptops wird das Chaos geregelt.
Was das zu bedeuten hat? Staatstheater-Intendant André Bücker versucht hier mit einem Konzept, dass er selbst entworfen hat, den Spagat: Er will die Herrlichkeit von Haydns „Schöpfung“ mit diesem flauen Gefühl verknüpfen, dass heute das absolute Ende nah ist. „Was ist schiefgegangen?“, fragt er. „Warum ist der Mensch anscheinend nicht in der Lage, das Richtige zu tun?“ Das Klima heizt an, das Virus bleibt standhaft und ein russischer Tyrann befindet, es sei Zeit für Krieg. Der Science-Fiction- und FAZ-Autor Dietmar Dath hat für diese Atmosphäre die Rezitative des Originals in Szenen umgewandelt – hintersinnige Endzeit-Dialoge mit Darstellern in Puschelkostümen.
Bernhard Lang komponiert für das Staatstheater Augsburg
Das Ende aber, das Finale am „Ende der Schöpfung“, setzt Bernhard Lang. Er hat einen dritten Teil für das Oratorium komponiert. Als Bücker auf den namhaften Wiener Komponisten vor einiger Zeit zukam, ihn mit dem Libretto im Gepäck besuchte, da habe er sofort ein Feuer für das Projekt gespürt, sagt Lang: „Schließlich bin ich da im Text auf gute Bekannte gestoßen.“ Bücker zitiert Jean Paul und Lord Byron. Zwei Dichter, die Lang in seiner Liebe zur Poesie und zur Philosophie verehrt, und die selbst in Gedichten den Untergang, das Düstere beschrieben haben.
Haydn hatte für „Die Schöpfung“ sein Orchester, Lang dagegen steht heute vor einer „unerträglichen Leichtigkeit der Möglichkeiten“. Der Österreicher ist bekannt dafür, dass er mit Jazz-Elementen spielt und E-Instrumente nutzt. Inspiration zieht er teilweise aus Methoden des Experimental-Films und einer seiner musikalischen Wurzeln liegt im Heavy Metal. Sein Werk „I hate Mozart“ brachte er beim Augsburger Mozartfest 2010 auf die Bühne, nun folgt Haydn 2.0 für die Stadt.
In Haydns "Die Schöpfung" steckt auch ein Stück Chaos
Ihm sei es so vorgekommen, als habe Bücker eine Vorahnung gehabt, sagt Lang mit Blick auf die Schlagzeilen dieser Wochen. Jetzt spüre er im Stück sogar eine „fast unangenehme Aktualität“. Das Gefühl, dass die Menschheit gegen sich selbst kämpft, dröhnt immer lauter. Auch in Lang: „In dem, was wir ökologisch anrichten, sehe ich viel Dummheit und eine wahnsinnige Lethargie.“ Doch wie viel Endzeit steckt in Haydns Schöpfung, in der Hirsche springen und Vögel zwitschern? „Es wirkt seltsam verklärt, kein Apfel, keine Schlange. Aber es kommt im Haydn schon ein entscheidender Wert vor: das Chaos.“ Und aus dem satanischen Engelssturz, der kurz und düster ins Werk bricht, schöpft Lang seine Idee: „Diesen Aspekt habe ich unterstrichen.“ Sein Kapitel soll dabei wie eine „Zahnrad“ wirken – das das Werk zu seinem Ende führt.
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