Dramatische Flucht von Georgien nach Günzburg
Nach zehn Jahren wollte die gebürtige Georgierin Ketevan Giorgadze, die jetzt in Günzburg lebt, ihre Verwandtschaft in der alten Heimat besuchen. Doch aus der Traumreise wurde ein Albtraum, aus Wiedersehensfreude wurde Überlebensangst. Von Heike Schreiber
Von Heike Schreiber
Günzburg/Tiflis - Nach zehn Jahren wollte die gebürtige Georgierin Ketevan Giorgadze, diejetzt in Günzburg lebt, ihre Verwandtschaft in der alten Heimatbesuchen. Doch aus der geplanten zweiwöchigen Traumreise wurde einfünftägiger Albtraum, aus Wiedersehensfreude wurde Überlebensangst.
Kaum in der Hauptstadt Tiflis angekommen, mussten die 43-Jährige und ihre drei Töchter erleben, wie im Südkaukasus der Krieg ausbrach. Erst nach vielen Telefonaten mit der deutschen Botschaft schafften es die Vier, aus Tiflis auszureisen. Gestern Mittag kehrten sie nach stundenlanger Odyssee nach Günzburg zurück.
Die lange Reise, der Stress, Papiere, Visum und Flugtickets zu ergattern, hat sie erschöpft, die Angst sitzt noch immer spürbar tief. Als sie am Telefon über das Erlebte spricht, kommt die 43-Jährige immer wieder ins Stocken. Zeit zu verarbeiten hatte sie noch nicht, die Koffer sind noch nicht einmal ausgepackt. Während ihre drei Töchter todmüde ins Bett gefallen sind, kommt Ketevan Giorgadze am Telefon ins Erzählen.
Davon, dass sie, ihr Mann David Baramidze und ihre vier Kinder vor zehn Jahren nach Deutschland geflüchtet sind. Davon, dass damals die Unruhen in Georgien so groß waren, dass die fünfköpfige Familie ihren Heimatort in der Nähe von Tiflis Hals über Kopf verlassen musste. Als "politische Flüchtlinge" landeten sie in Dortmund, zogen später um nach Offingen und schließlich vor einem Jahr nach Günzburg.
Erst im Juli hatte die 43-Jährige die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen und sich dann relativ spontan dazu entschlossen, in ihre alte Heimat zu reisen und ihre Mutter und Schwester in Tiflis zu besuchen. "Die Situation galt als stabil, alles war ruhig, sonst wäre ich nicht geflogen", sagt die Familienmutter. Am 8. August sind sie in aller Frühe in Tiflis gelandet, die Freude, ihre Verwandten nach zehn Jahren wiederzusehen, war riesig.
Doch sie währte nicht lange. Via Fernsehen bekamen sie mit, dass im Südkaukasus ein blutiger Konflikt ausgebrochen war. Den ganzen Tag über verbrachten sie fast nur vor dem Fernseher, "wir konnten uns gar nicht mehr freuen, den Aufenthalt genießen. Wir hatten alle nur große Angst", sagt Giorgadze. Am nächsten Tag setzte sie sich sofort mit der Deutschen Botschaft in Verbindung, bekam aber nur zur Antwort, dass eine Evakuierung nicht vorgesehen sei, die Lage sei ruhig.
Giorgadzes Versuch, die Flugtickets umzutauschen, scheiterte ebenfalls. Freie Plätze für die nächsten Tage gab es nicht. Eigentlich wollte sie bis zum 21. August bleiben, ihre Töchter (17, 16 und acht Jahre alt) sogar bis zum 9. September. "Aber ich habe die ganze Zeit nur daran gedacht, wie wir hier rauskommen." Auch ihr Mann, der in Günzburg geblieben war, machte sich große Sorgen um seine Familie. Ein reger Telefonkontakt begann. "Er war schrecklich aufgeregt. Für ihn war es noch viel schlimmer als für uns", sagt Giorgadze. An ruhigen Schlaf war nicht mehr zu denken, die Umgebung von Tiflis wurde bombardiert. Ihre Tochter habe die Einschläge in der Ferne gehört.
Nach "drei Tagen in Angst" dann endlich die befreiende Nachricht der deutschen Botschaft: Mutter und Töchter könnten per Bus nach Eriwan (Armenien) ausreisen und von dort nach München zurückfliegen. Lange Passkontrollen an der Grenze folgten und das Warten auf das nötige Visum. Erst nach bangen Stunden saßen die Vier im Flieger nach Deutschland, zusammen mit anderen Deutschen und Spaniern.
"Es war sehr hart für mich, es war eine zweite Flucht", sagt Giorgadze traurig. Auf der einen Seite sei sie froh, wieder sicheren Boden unter den Füßen zu haben. Auf der anderen Seite habe sie Angst um ihre Verwandten. Bis gestern seien zwar keine Soldaten in Tiflis einmarschiert, alles sei ruhig gewesen. "Aber wer weiß, was morgen passiert?", fragt sich die 43-Jährige. Alleine könne Georgien die Probleme nicht lösen, ist sie sicher. "Es hängt von Europa und den USA ab, wie lange der Krieg dauern wird."
Die Diskussion ist geschlossen.