"the xx" in München: Schöne neue Popwelt
Vor ein paar Tagen spielten sie in der Münchner Tonhalle: Die Geschichte der britischen Band "the xx" erzählt von Mechanismen des Musikgeschäfts. Von Wolfgang Schütz
Es ist gut ein Jahr her, da ging mal wieder alles von vorne los. Ein besonders gut informierter Freund drückte einem ein aus dem Internet gezogenes Album in die Hand - mit dem triumphalen Lächeln des erfolgreichen Schatzsuchers: Das nächste neue brandheiße Ding also. Auf der CD aber stand nur "XX", als wär's die Variable des Phänomens selbst: irgendwas, das "man gehört haben muss".
Vor Jahren noch waren's ausschließlich die Musikmagazine, die vierteljährlich mindestens die Revolution der Musikgeschichte ausriefen, die Neuerfindung des Pop, vornehmlich von den britischen Inseln aus. Seit im Jahr 2006 aber mit den "Arctic Monkeys" erstmals eine Band allein übers Internet zum Star wurde - über nur dort veröffentlichte Eigenproduktionen, verbreitet von Foren und Netzwerken - hat sich die Frequenz des Starsuchspiels drastisch erhöht. "Hype" nennt sich das dann, was zu deutsch eigentlich Medienrummel heißt und in der Gleichung aufgeht: je mehr Medien, desto mehr Rummel. Und gerade durch das Internet ist das Reservoire an noch Unentdecktem, aber Entdeckbarem ins Unendliche gestiegen, sind die Verteilernetze global.
Letzten Freitag standen Romy Croft, Oliver Sim und Jamie Smith auf der Bühne der seit Anfang 2010 ausverkauften Münchner Tonhalle. Die drei stammen aus London, sind um 1990 geboren, nicht aufsehenerregend adrett - und "the xx". Romy und Oliver kennen sich aus dem Kindergarten, Jamie kam in der Schule hinzu, mit 15 haben sie begonnen, gemeinsam zu musizieren.
Als sie Anfang 2009 mit "Crystalised" ihren ersten Song ins Internet stellten, als am 17. August dann ihr Debütalbum "XX" erschien und ein ungeheurer Aufmerksamkeitssturm, als der Hype also losbrach, da waren sie noch zu viert. Doch die Vierte, Baria Qureshi, hielt dem Rummel nicht stand, der das Leben der 19-Jährigen zu einem öffentlichen und anstrengenden machte. Als aus der anfänglichen Clubtour plötzlich eine Welttournée werden sollte, stieg sie zuerst wegen "Erschöpfung" und dann wegen "persönlicher Differenzen" aus.
Romy und Oliver und Jamie brachen also zu dritt auf, nach Nantes und New York, nach Sydney und Tokio. Denn wenn Aufmerksamkeit schon mal da ist, muss sie mit allen Mitteln genutzt werden. So verlangt es das Musikgeschäft. Das ging im Fall von "the xx" bis hin zu Modefotostrecken in Magazinen, auf denen die drei bedröppelt aus schwarzen Klamotten in die Kamera guckten, stilbewusst am liebsten in Dior zwar, doch sichtbar befremdet von der Situation. Eben noch normale Jugendliche, hatten sie gar keine Zeit, sich einen Stargestus anzueignen. Die Bilder anderer nach oben katapultierter Bands strotzen oft vor Pose und Coolness, schreien ein Image geraus - die Bilder von "the xx" aber blicken zurück zum Betrachter, weil Nachbarskinder aus ihnen zu fragen scheinen: Und jetzt?
Überhaupt herrscht im Herzen dieses Hypes genau sein Gegenteil: Ruhe. Knapp 40 Minuten Musik enthält das Debütalbum, um das sich alles dreht. Es sind zurückhaltende, minimalistische Popsongs. Jamie sorgt für eine pointierte elektronische Grundlage, Oliver wandert gemächlich am Bass, Romy kommt an der völlig unverzerrten Gitarre fast ohne Akkorde aus, zupft nur einzelne Töne. Und über all das legen die beiden ihren meist nur gehaucht wirkenden, oft im Duett schwebenden Gesang. Es sind wundersam schwelgerische bis düster traurige Lieder, schön und ohne jede Wut. Dazu kann auch im Konzert schwerlich gejohlt, gehüpft und geklatscht werden. Wer mitsingt, tut es leise, um die Harmonien von der Bühne unverfälscht genießen zu können. So gerät die Stunde mit "the xx" in München zur absurden Zaubershow: Hier wird der Hype widerlegt - und verstärkt seine Wirkung dadurch umso mehr.
Immerhin haben die drei dort oben inzwischen gelernt, dass sie nicht ausschließlich musizieren dürfen. Bei ihren ersten Konzerten nämlich waren sie noch so innig und zurückgezogen, dass sie kein Wort an ihr Publikum richteten. Soviel Entzug der gewohnten Posen allerdings war für dieses kaum zu ertragen; die Leute riefen solange "Hello", bis die Musiker schließlich antworteten und sich feiern ließen.
Inzwischen haben die drei gelernt, zu grüßen und zu danken. In München erklärt Oliver sogar, dass der Abend eine Art Abschied sei. Nach all der Zeit unterwegs kehren "the xx" über ausverkaufte US-Termine zurück nach Hause. Oliver: "Es könnte einige Zeit dauern, bis wir uns wiedersehen." Ein Satz voller Ungewissheit, schließlich ist das Geschäft schnelllebig. Und es ist ein Satz voller Erschöpfung. Diese drei haben das komplette Programm absolviert im ersten Jahr ihres Geschäfts. Eigentlich hätten sie bereits im Februar hier in München auftreten sollen. Doch dann war Romys Vater plötzlich gestorben. Und dafür wurde der Terminplan aufgebrochen: kurze Pause, verlegte Konzerte. Dann aber musste es weitergehen. Denn neue Hypes kursierten schon. Aufmerksamkeit ist eine begrenzte Ressource. Wolfgang Schütz
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