Stephen King auf Deutschlandbesuch
Star-Autor Stephen King ist zum ersten Mal in Deutschland und präsentierte in München sein neues Buch. Dabei plauderte er aus dem Nähkästchen und über ein Kindheitstrauma.
Der Mann, der all die Geister, Psychopathen und Monster im Kopf hat, sieht aus wie ein schrulliger Highschool-Lehrer. Schlabberiges T-Shirt, Jeans, klobige Schuhe, stechende Augen. Gut, aus dem Mund eines Highschool-Lehrers würde vielleicht nicht so oft „fucking“, „shit“ und „damn“ kommen. So locker wie sein Outfit und die Wortwahl nimmt der Typ auf der Bühne auch den ganzen Rummel. Die schreienden Fans, die hochgehaltenen Pappschilder, den ganzen Applaus. „Ich bin doch nur ein Autor, kein Victoria’s Secret Model“, sagt er den Fotografen. Nur ein Autor.
King ist eine Monster-Schreib-Maschine
Stephen King ist für Fans von Horror-Romanen der Autor – und einer der bekanntesten Schriftsteller der Welt. Über ihn gibt es bei Wikipedia eine eigene Unterabteilung – KingWiki. Der dreifache Familienvater schrieb mehr als 50 Romane, die in 40 Sprachen übersetzt wurden. Weltweit verkauften Verlage 400 Millionen seiner Bücher, und Hollywood verfilmte viele seiner Geschichten. Er müsste nicht mehr arbeiten – und doch bringt er noch jährlich neue Bücher auf den Markt, kaum eines unter 400 Seiten. Stephen King ist eine Monster-Schreib-Maschine, so viel ist klar. Aber wer ist der Typ mit dem stechenden Blick wirklich?
Gut 3000 Fans versuchten das am Dienstagabend beim Krimifestival im ausverkauften Circus Krone herauszufinden. King war zum ersten Mal in Deutschland. Nicht wegen der Schlösser oder der Autobahn („fucking fast“) – sondern wegen „Money“. Er stellte seinen neuesten Roman vor: „Doctor Sleep“, die Fortsetzung des Bestsellers „Shining“.
Weil der Regisseur anrief, schnitt er sich beim Rasieren
Nun steht also der hagere „König des Horrors“ wie ein Normalo auf einer kleinen Bühne in der Manege. Lächelt er etwa diabolisch? Ist der Blick nicht doch irgendwie irre? Oder ist das nur Einbildung? Schließlich steht da im Circus Krone einer, der sich freut, mit dem Buch „Es“ einer ganzen Generation das Fürchten vor Clowns gelehrt zu haben. Ist er wirklich so scheu, wie es immer heißt? „Einer der Gründe, warum Schriftsteller Schriftsteller sind und keine Redner, ist, dass ein Publikum wie dieses ihnen eine Scheißangst macht. Ich bin dafür nicht gemacht – glauben Sie mir“, sagt er – aber man glaubt’s ihm nicht so recht. Angst sieht anders aus. Außerdem sagt er selber: „Traue keinem Schriftsteller. Er lügt, wenn er den Mund aufmacht.“
So gesehen sind die Lügen des 66-Jährigen zumindest amüsant und auch spannender als die paar Zeilen aus „Doctor Sleep“, die King vom „verdammten iPad“ abliest. Im Publikum sitzen hauptsächlich Fans, und die freuen sich über Anekdoten wie diese: Vor Jahren schnitt sich King beim Rasieren, weil plötzlich Stanley Kubrick, der Regisseur von „Shining“, am Telefon war. Er wollte sich über den Optimismus von Geistergeschichten und das Leben nach dem Tod unterhalten. Sie kamen aber auf keinen grünen Zweig, weil sich King die Hölle nicht so fröhlich vorstellt und Kubrick nicht an sie glaubte.
Oder diese: Auf die meistgestellte Frage bei Lesungen, wie er denn auf die Geschichten komme, antworte King gerne „Das kann ich Ihnen schon erzählen, aber dann muss ich Sie umbringen.“ In dem Witz steckt ein Funken Wahrheit. King lässt sich in seinen Romanen vom Leben inspirieren. Zum Beispiel auch bei „Shining“: King war auf Flitterwochen in Colorado und landete mit seiner Frau in einem Nobelhotel in Boulder. Weil das Saisonende bevorstand, waren sie die einzigen Gäste. „Wenn ich dieses Hotel in die Berge verlege, eine Familie einbaue und einen Typen, der den Verstand verliert, dann habe ich einen Wahnsinnsroman“, habe er sich damals gedacht. Er schuf also die Geschichte des kleinen Jungen Danny, der zusammen mit einem Haufen Geister und einem verrückten und alkoholkranken Vater in dem leer stehenden „Overlook Hotel“ eingeschneit war. Das war vor mehr als 36 Jahren.
Mit Drogen und Zorn kennt er sich seit Langem aus
Diese Geschichte ließ seine Leser aber nicht los. Auf Lesungen sei er immer wieder gefragt worden, was aus dem kleinen Danny geworden sei. Die gedruckte Antwort ist 700 Seiten lang und steht schon auf der Bestsellerliste. In Kurzform: Danny wird Säufer, lässt sich von den Anonymen Alkoholikern helfen, hilft dann in einem Hospiz als „Doctor Sleep“ Todkranken beim Sterben und beschützt nebenbei ein ebenfalls hellsichtiges Mädchen vor einer vampirhaften Rentnersekte. Ein typischer King: Horror im Alltag, viele Seiten, keine große Literatur, aber spannend. Und es sind wieder autobiografische Elemente eingebaut. Dieses Mal: die Sucht.
„Ich war, ich bin Alkoholiker. Die Krankheit verschwindet nicht, nur weil man nicht mehr trinkt“, sagt King. Er habe schon einige Tiefpunkte im Leben gehabt. Sucht. Drogen. Zorn. Themen, mit denen er sich auskennt. Armut auch, aber das ist schon lange her. Und eben die Monster. Als Bub sah er sie zum ersten Mal in Heftchen seines Vaters. „Ich liebe Monster“, sagt er. Er habe gar keine andere Wahl gehabt, als darüber zu schreiben.
Aber wie zur Hölle kommt man auf all das Kranke in den Geschichten? Auf so viel Psychokram und Blut? Moderator Denis Scheck erkundigt sich im Circus Krone nach Kings Kindheit. „Ah, da ist sie wieder: Die höflich verpackte Frage, was mich eigentlich so versaut hat“, sagt King und grinst wieder diabolisch: „Vielleicht sind das Erlebnisse aus dem Unterbewusstsein, die so gechannelt werden.“ Er lässt sich nicht festnageln und erzählt lieber, wie er als Kind das erste Mal „Bambi“ sah und sich dabei schrecklich fürchtete. Walt Disney sei gruseliger als jeder Horrorfilm. Also vielleicht doch ein Kindheitstrauma! King sieht’s gelassen. Andere Menschen würden Geld beim Psychologen lassen, um sich die Seele frei zu reden. „Ich bekomme Geld dafür, dass ich das Zeug erzähle.“
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