Mutter erstickt Tochter mit Kissen: Jetzt ist von Mord die Rede
Vor drei Jahren erstickte eine Mutter ihr neunjähriges Kind. Ein Richter erklärte sie für schuldunfähig und sprach sie frei. Nun steht die 50-Jährige erneut vor Gericht.
Überraschung im Revisionsprozess gegen eine 50 Jahre alte Frau aus Lindau, die vor über drei Jahren ihre damals neunjährige Tochter im Schlaf erstickt hatte: Nachdem sie in erster Instanz wegen Schuldunfähigkeit vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen worden war, erklärte der Vorsitzende Richter am Mittwoch, dass unter Umständen nun sogar eine Verurteilung wegen Mordes infrage kommen könnte. Den Freispruch in erster Instanz vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Kempten hatte der Bundesgerichtshof aufgehoben, nachdem die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen war.
In der Nacht zum 13. September 2016 hatte die Frau in Lindau am Bodensee dem schlafenden neunjährigen Kind mit beiden Händen ein Kissen ins Gesicht gedrückt und es erwürgt. Daraufhin versuchte die Mutter, sich selbst das Leben zu nehmen. Sie nahm eine Überdosis verschiedener Medikamente, unter anderem Psychopharmaka und Antidepressiva, um ihrem Leben eine Ende zu bereiten. Die Frau wurde jedoch gerettet.
Tochter mit Kissen erstickt: Frau wird nach Tod des Partners depressiv
Hintergrund des versuchten Suizids und des Todes der neunjährigen Tochter ist wohl der Selbstmord des Lebensgefährten der heute 50-Jährigen. „Ich habe mir Vorwürfe gemacht“, sagte die Angeklagte im ersten Prozess. Die Frau habe zum Tatzeitpunkt „unter einer Depression im Ausmaß einer krankhaften seelischen Störung“ gelitten, heißt es in der Anklageschrift. Dadurch sei ihre Steuerungsfähigkeit erheblich gemindert gewesen.
Ein Gutachter war im ersten Verfahren zu dem Schluss gekommen, dass die Steuerungsfähigkeit der Frau zum Tatzeitpunkt möglicherweise sogar ganz aufgehoben war. Ein Freispruch wäre die strafrechtliche Konsequenz. Ein zweiter Psychiater vertrat jedoch eine gegenteilige Meinung: Die seinerzeitige Depression der Frau habe „nicht die Qualität einer Psychose“.
Der Vorsitzende Richter begründete den Freispruch im März 2018 mit der Ausnahmesituation eines solchen sogenannten Mitnahmesuizids. Das Urteil hatte aber vor dem Bundesgerichtshof keinen Bestand, sodass der Fall am Mittwoch erneut verhandelt wurde – vor einer anderen Kammer des Landgerichts in Kempten.
War die Frau schuldfähig, als sie ihre Tochter erstickte?
Bei der Verhandlung schossen der Angeklagten immer wieder die Tränen in die Augen, noch bevor die Staatsanwältin die Anklage verlas. Dann gab der Vorsitzende Richter den „rechtlichen Hinweis“, der dem tragischen Fall möglicherweise eine neue Wendung geben könnte. Nach seinen Worten komme auch eine Verurteilung wegen Mordes infrage. Der Richter sprach in diesem Zusammenhang vom Mord-Tatmerkmal der Heimtücke. Hintergrund einer möglichen Neubewertung des Falls sei eine veränderte Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs.
Verteidigerin Anja Mack aus Memmingen stellte daraufhin den Antrag, das Verfahren auszusetzen. Ursprünglich war ein zweiter Verhandlungstag auf den 13. November terminiert worden. Die Kammer stimmte der Unterbrechung des Verfahrens zu. Damit soll der Verteidigung die Möglichkeit gegeben werden, sich auf die neue Situation einzustellen. Und die Gutachter werden die Angeklagte in der Zwischenzeit erneut in Augenschein nehmen. Die Beschuldigte stimmte einem neuerlichen Gutachten am Mittwoch zu.
Im Kern wird es bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens darum gehen, wie der Zustand der Frau zur Tatzeit zu bewerten ist: Kriterien für eine Schuldunfähigkeit sind laut Gesetzestext beispielsweise eine „krankhafte seelische Störung“ oder eine „seelische Abartigkeit“. Der Freispruch der Frau in erster Instanz hatte bei Lindauern zum Teil für Unverständnis gesorgt. Manche bedauerten, dass der Tod der Neunjährigen nicht gesühnt werde. Wann der Prozess weitergeht, ist noch unklar.
Lesen Sie dazu auch den Beitrag zum vergangenen Prozess: Mutter tötet ihr Kind - Gericht in Kempten spricht sie frei
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